Brennende Fesseln
Hebevorrichtung? Und der gepolsterten Bank? Wozu sind die gedacht?«
»Das wirst du noch früh genug erfahren.« Er dreht sich auf die Seite und legt seine Hände auf meine Brust. »Ich glaube, du genießt das alles.«
»Was alles?«
»Die ganze Szene – die Gefahr, die Angst.«
Ich schüttele den Kopf. »Du bist zu weit gegangen.«
»Deine Pussy hat mir etwas anderes gesagt.«
Ich steige aus dem Bett und hole meine Sachen.
M. sagt: »Du genießt es immer, wenn ich ein bißchen grob mit dir umgehe, wenn ich dich an den Haaren ziehe und herumschubse. Du magst es, wenn der Sex mit einem Quentchen Angst einhergeht. Finde dich damit ab, Nora – du spielst gern mit dem Feuer.«
Ich streite das vehement ab.
»Doch, das tust du. Ich habe gespürt, wie das Adrenalin durch deinen Körper pulsierte. Ich habe es in deiner nassen Pussy gespürt.«
Ich ziehe mich an.
M. spricht weiter. »Du hast entdeckt, daß das Leben hart an der Grenze dir gefällt. Du glaubst, daß ich Franny getötet habe, und du hast Angst, daß ich auch dich töten könnte. Es erschreckt dich, es macht dir angst, und es erregt dich wie nie zuvor.«
»Du weißt doch gar nicht, wovon zu redest«, erwidere ich und öffne die Tür.
»Nora«, sagt M. Seine Stimme klingt barsch.
Ich drehe mich ungeduldig um. »Was ist?«
»Ich will dich nie wieder in diesen Klamotten sehen.«
Ich wende mich ab.
»Nora.«
»Was denn noch?« Ich bleibe im Türrahmen stehen.
»Auf dem Küchentisch liegt ein Geschenk für dich.«
Ich verlasse ihn, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Ich gehe in die Küche und finde auf dem Tisch ein paar beschriebene Seiten. Die Überschrift lautet: »Wasserratte«.
25
Wasserratte
von Frances Tibbs
Das Mädchen kann sich selbst nicht leiden. Sie fühlt sich nicht wohl – weder in ihrem Körper noch in ihrem Kopf. Sie hat eine Schwester, Nora, und als die Schwester herausfand, was sie getan hatte, droht sie ihr mit einer Strafe. Eine Woche lang nicht fernsehen, sagte Nora in scharfem Ton, als könnte das sie davon abhalten. Aber als sie das Mädchen ansah, schien ihre Wut zu verrauchen. Nora hieß sie Platz nehmen, um mit ihr ein vertrauliches Gespräch von Frau zu Frau zu führen. Der Blick ihrer zartblauen Augen war flehend. Sie hielt die Hand des Mädchens fest, als hätte sie Angst, sie zu verlieren,
und mit zitternder Stimme warnte sie sie vor den Gefahren, verlangte ihr das Versprechen ab, es nie wieder zu tun. Dabei waren ihre Augen so voller Liebe, daß das Mädchen, das gerade erst fünfzehn war und eine helle Haut und hellbraune Augenbrauen hatte, den Kopf senkte und nickte, obwohl sie genau wußte, daß das ein Versprechen war, das sie nicht halten konnte.
Was hatte das Mädchen getan? Es war an einem eisigen Wintertag seelenruhig ins Meer gegangen. Mr. Clancy, der Briefträger, hatte mit dem Mädchen und seiner Tochter einen Tagesausflug ans Meer gemacht. Das Mädchen wollte eigentlich nicht mitfahren, aber Nora – die an diesem Tag arbeiten mußte – sagte, sie halte sich zuviel im Haus auf, sei immer allein, spiele nie mit anderen Kindern. Also begleitete das Mädchen Mr. Clancy und seine Tochter Jeanine. Mr. Clancy war ein großer Mann, der größte, den das Mädchen je gesehen hatte; sie konnte sich nicht erklären, wie er in den kleinen Toyota paßte, mit dem er gekommen war, aber irgendwie ging es – er faltete sich hinein, als wäre sein Körper über Scharniere zusammenklappbar. Jeanine, die mit dem Mädchen in die Schule ging, saß neben ihr auf dem Rücksitz und redete von einem Jungen, den das Mädchen nicht kannte und auch nicht kennen wollte.
Eingehüllt in Mäntel, gingen sie am Strand spazieren – zu kalt zum Schwimmen, sagte Mr. Clancy –, und dann watete das Mädchen plötzlich bis zum Hals ins Wasser. Es machte ihr nichts aus, daß das bitterkalte Wasser durch die Kleider bis auf ihre Haut drang, und sie hörte nicht auf die panischen Schreie von Mr. Clancy, der sie wild winkend aufforderte, wieder herauszukommen. Und dann schien auf einmal jeder von ihrem Marsch ins Meer zu wissen. Die Geschichte machte im ganzen Viertel die Runde. Mr. Clancy verbreitete die Neuigkeit, als handele es sich um ein Rundschreiben, das er mit der Post austragen müsse.
Sie will nur in Ruhe gelassen werden, aber in der Schule nennen die anderen sie jetzt Wasserratte. Sie glauben, daß sie das Meer so sehr liebt, daß sie sogar an einem Wintertag darin spielen muß. Wasserratte – sie haßt diesen
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