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Brennende Fesseln

Brennende Fesseln

Titel: Brennende Fesseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Reese
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Stock hinter sich her und scheint mit sich selbst zu reden. Eine Frauenstimme ruft etwas, und er erstarrt mitten in der Bewegung, mit hochgerissenem Kopf, wie eine Zeichentrickfigur, deren Filmrolle hängengeblieben ist. Dann setzt er sich genauso abrupt wieder in Bewegung und geht im Zickzack den Gehsteig entlang, der Stimme entgegen.
    Ian scheint sich etwas beruhigt zu haben. Er kommt zurück und blickt auf mich herunter. »Hast du Angst vor mir, Nora?« fragt er. »Mußt du dich wirklich im Wagen verstecken?«
    Ich starre auf das Lenkrad, unfähig, seinen Blick zu erwidern oder seine Fragen zu beantworten.
    »Ich verstehe das nicht«, sagt er. »Warum tust du mir das an?« In seiner Stimme schwingt eine Spur Verzweiflung mit, nur ganz schwach, aber trotzdem nicht zu überhören. Mit gesenktem Kopf umklammere ich das Lenkrad.
    »Die Polizei hat mich heute verhört – zum zweiten Mal. Sie sind während der Arbeit ins Büro gekommen.« Er preßt beide Handflächen gegen die Scheibe, als wollte er wie ein kleiner Junge Fingerabdrücke auf dem Glas hinterlassen. »Sie haben mich gefragt, ob ich bereit bin, ihnen eine Strähne von meinem Haar und Teppichfasern aus meinem Haus zu überlassen. Ich mußte mir einen Anwalt nehmen, Nora. Einen Anwalt.« Er läßt den Kopf sinken. »Wie konntest du ihnen bloß erzählen, ich hätte Franny getötet? Wie konntest du so etwas auch nur denken?«
    Seufzend dreht er sich um, lehnt sich mit dem Rücken gegen den Wagen und verschränkt die Arme vor der Brust. Ein leichter Wind fährt durch sein Haar.

    Dem Wind zugewandt, fragt er: »Warum tust du das, Nora? Ich habe dich geliebt – ich liebe dich immer noch. Als ich gesagt habe, daß ich Zeit brauche und eine Weile allein sein will, habe ich damit wirklich nur gemeint, daß ich ein bißchen Zeit zum Nachdenken brauche. Bloß ein bißchen Zeit. Ich wollte nicht mit dir Schluß machen. Wenn es so gewesen wäre, hätte ich es gesagt. Ich denke jeden Tag an dich, grübele, ob es richtig war, mich von dir zurückzuziehen, obwohl ich in meinem Herzen genau weiß, daß es falsch war. Ich hatte beschlossen, dich anzurufen und dir zu erzählen, was wirklich passiert war und warum ich eine Weile allein sein mußte, aber dann kam plötzlich die Polizei und stellte mir Fragen über Franny.« Er zögert, starrt auf den Boden. Dann sagt er leise: »Ich kann ja verstehen, daß du wütend warst, weil du geglaubt hast, ich hätte mit dir Schluß gemacht – aber deswegen gleich zur Polizei zu rennen und ihnen zu erzählen, ich hätte dich mit Drohbriefen und anonymen Anrufen belästigt und deine Schwester getötet? Das geht weit über normale Rachegelüste hinaus. Ich habe nichts damit zu tun, Nora. Weder mit dem einen noch mit dem anderen. Ich schwöre es.«
    Er verstummt, und ich höre das leise Vibrieren des Motors. Das Flehen in seiner Stimme war nicht zu überhören. Ich liebe dich immer noch. Bildet er sich ein, daß er mich mit einer Liebeserklärung umstimmen kann? Seine Zuneigung – ob nun aufrichtig oder nicht – ändert nichts an der Tatsache, daß seine Fingerabdrücke auf sämtlichen Gegenständen in dem Schuhkarton waren. Innerlich schaudere ich. Genau das tun solche Männer – sie töten mit ihrer Liebe.
    »Ich weiß nicht, was mich am meisten aufregt«, sagt er. »Die Tatsache, daß die Polizei mich in der Redaktion überfallen hat, die Tatsache, daß sie dieses ganze Zeug unter meinem Bett gefunden haben, oder das Wissen, daß du glaubst, ich hätte dich belästigt und deine Schwester getötet.« Wieder schweigt er. »Ich war es nicht, Nora. Du kennst mich doch.«
Er dreht den Kopf, damit er mich sehen kann, und senkt die Stimme. »Du mußt es doch besser wissen.« Ich kann seine Worte kaum verstehen.
    Die Sonne scheint durch die Windschutzscheibe herein und läßt das Glas glitzernde Funken sprühen. Der Himmel leuchtet in einem kräftigen, fröhlichen Blauton. Ich wünschte, Ian würde gehen. Ich möchte nicht mit seinen Problemen belastet werden – ebensowenig wie mit denen irgendeines anderen Menschen. Er wird bald verhaftet werden, und eine Jury von Geschworenen wird über seine Schuld oder Unschuld entscheiden, nicht ich. Alles, was ich will, ist meine Ruhe.
    »An dem Tag, an dem sie getötet wurde, war ich wandern«, fährt er fort. Er spricht immer noch in den Wind, den Rücken gegen den Wagen gepreßt. »Mit einem Freund. In Desolation Wilderness. Das einzige Problem ist, daß sich mein Freund nicht genau

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