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Brennende Fesseln

Brennende Fesseln

Titel: Brennende Fesseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Reese
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will oder nicht, ich kann nichts dagegen tun. Ich muß herausfinden, wie die Geschichte weitergeht. Ich muß um jeden Preis wissen, wie und warum Franny gestorben ist, und dafür sorgen, daß ihr Mörder – wer auch immer er ist – seine gerechte Strafe bekommt.
    Zugegeben, ich habe große Angst, aber tief in meinem Innern spüre ich, daß ich am Ende die Stärkere sein werde. Ich bin nicht das scheue, ängstliche Mädchen, das Franny war. In mir wird M. eine ebenbürtige Gegnerin finden. Widerspruchslose Unterwerfung ist nicht mein Stil. Ich habe noch nie kampflos aufgegeben und werde es auch nie tun.

    Ich beobachte M. nun schon seit Monaten. Ich folge ihm durch die Stadt, kenne seine Gewohnheiten. Er kauft im Nugget Market ein, für gewöhnlich am Samstag nachmittag, er geht häufig zum Essen aus, verbringt viel Zeit zu Hause und joggt dreimal die Woche am frühen Morgen mit seinem Hund, einer ausgewachsenen dänischen Dogge. Dieses Semester unterrichtet er vier Tage die Woche, und auf dem Weg zur Arbeit macht er jedesmal im Universitäts-Einkaufszentrum halt, um im Fluffy Do-nuts zu frühstücken. Hin und wieder ißt er einen glasierten Doughnut, aber meistens trinkt er nur Kaffee, zwei Tassen, ohne Milch und Zucker, und liest seine Zeitung. Er hat zwei Zeitungen abonniert, The Sacramento Bee und The Davis Enterprise. Den Bee liest er morgens im Fluffy’s , den Enterprise wahrscheinlich zu Hause.
    Ich habe ihn viele Male auf dem Unigelände gesehen, und Franny hatte recht – er ist als Dozent sehr beliebt. Ich bin ihm gefolgt und habe seine Gespräche belauscht. Sowohl seine Kollegen als auch die Studenten scheinen ihn zu mögen. Er hat mehrere Freunde, mit denen er sich regelmäßig trifft. Einmal pro Woche spielen sie zusammen Golf. Achtzehn Loch. Gelegentlich fahren sie zum Glücksspiel hinauf nach Tahoe. M. spielt nur Blackjack. Seine Beziehungen zu Frauen sind schwieriger zu beschreiben. Soweit ich es beurteilen kann, hält er sich von Studentinnen fern, was aber mehr mit praktischen als mit moralischen Bedenken zu tun hat, da bin ich mir sicher. Seit ich ihn beobachte, ist er mit mehreren Frauen zusammengewesen  – ein paar davon mittleren Alters, ein paar jung, allesamt attraktiv –, aber mit keiner dauerte es lange. Wer jeweils Schluß macht – er oder die Frauen –, kann ich nicht sagen. Anders als mit Franny zeigt er sich mit ihnen in der Öffentlichkeit: Er geht mit ihnen zum Essen, ins Theater, fährt übers Wochenende mit ihnen weg. Er weiß es noch nicht, aber ich werde die nächste Frau in seinem Leben sein.

    Ein paar Worte der Klärung und des Bedauerns:
    Ich muß ehrlich zugeben, daß Frannys Sexualität für mich nie ein Thema war. Es ist mir nie in den Sinn gekommen, daß sie einen Freund haben könnte. Ich habe sie immer als Neutrum betrachtet, als ein Wesen ohne sexuelle Bedürfnisse, geschlechtslos wie ein Möbelstück. Wie konnte sie an einen Mann wie M. geraten? Wie ist es möglich, daß ich die Veränderungen an ihr nicht bemerkt habe? War ich wirklich so sehr mit mir selbst beschäftigt, wie sie in ihrem Tagebuch angedeutet hat? So sehr, daß ich nichts gesehen habe? Ich denke zurück, zermartere mir das Hirn, versuche mich zu erinnern: Wenn wir uns zum Essen trafen, waren da blaue Flecke an ihren Armen oder Handgelenken? Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß mir nie etwas aufgefallen ist.
    Auch von Frannys enger Beziehung zu Mrs. Deever wußte ich nichts. Obwohl sie eine Symbiose eingegangen waren, von der beide profitierten, hat Franny sie mir gegenüber nur ganz beiläufig erwähnt. Nie hat sie mir erzählt, daß sie Sue Deever zunehmend als Mutterfigur betrachtete, als eine Art Ersatzmutter. Oder hat sie es doch erwähnt? Vielleicht hat sie irgendwelche Andeutungen gemacht, die mir entgangen sind. Vielleicht ist Symbiose ein zu wissenschaftlicher Ausdruck, um ihre Beziehung zu beschreiben. Ich gebe zu, daß ich dazu neige, die Welt empirisch zu betrachten, indem ich meine Beobachtungen durch die objektiven Linsen der Wissenschaft filtere. Distanziertes Beobachten liegt mir wesentlich mehr als jede Art von Subjektivität. Aber vielleicht muß ich erst hinter meinem Vergrößerungsglas hervortreten, um das Ausmaß von Frannys persönlichen Bindungen klarer sehen zu können – Bindungen, die allem Anschein nach sehr eng waren –, etwas, womit ich persönlich wenig Erfahrung habe.
    Auf jeden Fall macht Frannys Tagebuch deutlich, wie sehr ich ihr gegenüber versagt

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