Brennende Fesseln
an. »Hätten Sie Lust, diese Woche mal mit mir essen zu gehen?«
Innerlich seufze ich vor Erleichterung. Ich hatte damit gerechnet, daß es schwierig werden könnte, an M. heranzukommen, aber wie sich herausstellt, ist er weniger kompliziert, als ich dachte. »Klar«, antworte ich. »Gern.«
Er steht auf, und ich folge seinem Beispiel. Wir gehen durch die Tür und bleiben auf dem mit feinem Kies bestreuten Gehsteig stehen. Wolkenfetzen sprenkeln den Himmel mit einem perlgrauen Mosaikmuster. Um diese Zeit ist der Parkplatz noch fast leer und das sonst so betriebsame Einkaufszentrum abgesehen von Fluffy’s wie ausgestorben. Zwei Radfahrer, College-Studenten mit schwarzen Rucksäcken, bremsen vor dem Café und stellen ihre Räder ab. Sie ketten sie an einen metallenen Fahrradständer und betreten das Café. Ein kalter, winterlicher Wind setzt plötzlich ein und läßt mein Haar fliegen.
»Übermorgen?« fragt er. Dann runzelt er die Stirn. »Nein, da kann ich nicht. Wie wär’s mit morgen abend? Würde Ihnen das passen?«
Ich streiche mir das Haar aus dem Gesicht. »Ja, morgen abend paßt mir gut.«
Er zieht ein kleines Notizbuch aus der Manteltasche. »Großartig. Wenn Sie mir Ihre Adresse geben, hole ich Sie gegen sieben ab.«
Ich will nicht, daß er weiß, wo ich wohne. Daß ich mir nur ein paar Häuserblocks von ihm entfernt ein Haus gemietet habe. »Ich habe eine bessere Idee«, sage ich. »Geben Sie mir
doch Ihre Adresse. Dann komme ich um sieben zu Ihnen, und Sie können für mich kochen.«
Er lacht. »Sie wollen, daß ich für Sie koche? Bei unserem ersten Rendezvous?«
Ich zucke lächelnd mit den Schultern. »Ich mag Männer, die kochen können. Sie können doch kochen, oder?«
Er notiert seine Adresse und reißt den Zettel aus seinem Notizbuch. Er reicht ihn mir mit den Worten: »Natürlich. Es macht mir Spaß, hin und wieder selbst zu kochen.«
Bis jetzt, denke ich, ist die Sache ein Kinderspiel.
Ian McCarthy ist mein Freund. Er arbeitet auch beim Sacramento Bee . Er ist als Reporter für die Nachrichten aus dem Kapitol zuständig. Ich kenne ihn schon seit Jahren, bin aber erst seit zehn Monaten mit ihm zusammen. Das Ganze fing kurz nach Frannys Tod an. Wenn ich vorher noch nicht an glückliche Zufälle geglaubt habe, dann tue ich es jetzt: Genau zu der Zeit, als ich jemanden wie Ian brauchte, tauchte er – fast wie durch ein Wunder – an meiner Seite auf. Vorher kannten wir uns nur flüchtig, waren nur oberflächlich befreundet, und anfangs fand ich die Unverschämtheit, mit der er sich gleich nach Frannys Tod in mein Leben drängte, eher lästig, aber seine mitfühlende Art machte ihn mir schnell sympathisch. »Ich weiß, wie es ist, einen geliebten Menschen zu verlieren«, sagte er einfach, bemüht, mich zu trösten.
Ich wußte, worauf er anspielte. Ein paar Jahre zuvor hatte ein Mann Ians Freundin aufgelauert und sie umgebracht. Sie hatte als Fernsehreporterin für Channel 3 gearbeitet, und der Bee hatte – wie alle anderen Medien – ausführlich über die Geschichte berichtet. Der Mann hatte sie zu Hause mit Drohanrufen belästigt, hatte ihr wiederholt Fotos geschickt, die er von ihr gemacht hatte, ihr schließlich auf dem Parkplatz des Fernsehsenders aufgelauert und sie mit mehreren Messerstichen getötet. Seitdem sitzt er in San Quentin.
»Du weißt wenigstens, wer Cheryl ermordet hat«, erwiderte ich, weil ich der Meinung war, daß das eine gewisse Befriedigung sein mußte.
Aber Ian schüttelte bloß traurig den Kopf. »Es hilft mir nicht zu wissen, wer sie getötet hat«, sagte er und schlang die Arme um mich.
Auf dieser gemeinsamen Erfahrung – dem gewaltsamen Tod eines geliebten Menschen – haben Ian und ich eine Beziehung aufgebaut. Er verstand mich, wie es kein anderer konnte. Er tröstete mich, half mir sogar bei den Formalitäten wegen der Beerdigung und des Gedenkgottesdienstes.
Als Franny starb, machte irgend etwas in meinem Innern dicht. Ihr Tod, der so sinnlos und gewaltsam war, traf mich härter als der meines Bruders oder meiner Eltern. Noch heute kann ich den Gedanken, daß sie tot ist, kaum ertragen. Ian – der sanfte, gesetzte, ausgeglichene Ian – war mir eine große Hilfe, und unsere Beziehung hat sich langsam und stetig entwickelt. Als ich in Erwägung zog, beim Bee unbezahlten Urlaub zu nehmen, hat er mich in dem Vorhaben bestärkt. Er wollte nicht, daß ich nach Davis zog, als ich es aber dennoch tat, unterstützte er mich in jeder Hinsicht.
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