Brennende Fesseln
eingebrochen?«
»Nein«, antworte ich und überlege, wieviel ich ihm erzählen soll. »Ich treffe mich ab und zu mit ihm. Er hat mich eingeladen.«
Joe reibt sich die Augen. Er sieht aus, als wolle er mir gleich eine Standpauke halten, aber dann überlegt er es sich anders und schüttelt bloß den Kopf. Er sitzt auf einem dieser praktischen Drehstühle mit Rollen, einem spartanischen Modell aus Edelstahl und schwarzem Vinyl: Das Ding hat keine Armlehnen, und die Rückenlehne sieht aus, als würde sie nicht einmal bis zu seinen Schulterblättern reichen. Bei der Größe des Detectives hat man den Eindruck, daß er gar nicht wirklich auf dem winzigen Stuhl sitzt. Es sieht eher so aus, als würde er ihn durch sein Gewicht am Boden halten.
»Selbst wenn die Untersuchungen ergeben, daß es exakt dasselbe Klebeband ist«, sagt er, »können wir nicht beweisen, daß es aus seinem Haus stammt – nicht einmal, daß es ihm überhaupt gehört. Höchst unwahrscheinlich, daß wir ihn vor Gericht damit festnageln könnten. Sie selbst haben das Beweismaterial entfernt. Sein Anwalt würde unzählige Hintertürchen finden, durch die er uns entwischen könnte.«
Ich habe nichts anderes erwartet. Vor Ärger rede ich viel zu laut: »Was hätte ich denn tun sollen? Es dort lassen? Bis ihr bei einem Richter wart und einen Haftbefehlt habt – wenn ihr überhaupt einen bekommen hättet –, hätte er es längst vernichten können!« Ich merke, daß ich nach vorn auf die Stuhlkante gerutscht bin und Joe praktisch anschreie. Tief in meinem Innern weiß ich, daß er ein kompetenter Mann ist, der
alles, was im gesetzlichen Rahmen möglich war, getan hat, um Frannys Mörder zu finden. Ich bin derart frustriert, daß ich überreagiere, und Joe weiß das. Ich sehe es an seinem Blick. Ich lehne mich wieder zurück und senke die Stimme.
»Werden Sie irgend etwas damit anfangen?« frage ich.
Er greift nach der Tüte und macht sie zu. Dann sagt er: »Wir werden es überprüfen, eine chemische Analyse durchführen lassen. Mal sehen, was dabei herauskommt. Aber machen Sie sich keine allzu großen Hoffnungen. Solches Klebeband ist nichts Ungewöhnliches. Mann, ich habe selbst eine Rolle davon in der Garage liegen.«
Trocken antworte ich: »Aber ich wette, Ihres liegt nicht in einer Schachtel mit Peitschen und Ketten und allen möglichen anderen SM-Utensilien.«
Joe Harris starrt mich an. Er läßt sich durch meine Worte nicht aus der Ruhe bringen. »Halten Sie sich von ihm fern, Nora. Die Haare, die wir neben der Leiche Ihrer Schwester gefunden haben, sind nicht mit seinen identisch. Die Teppichfasern, die wir untersucht haben, stammen nicht aus seinem Haus. Wir haben keinerlei konkrete Beweise, die darauf hindeuten würden, daß er irgend etwas mit ihrem Tod zu tun hatte. Wir haben ihn überprüft. Wir haben mit seinen Exfreundinnen gesprochen. Er steht auf leichten SM – ein bißchen Auspeitschen und Fesseln, ein wenig Dominanz, aber nichts allzu Hartes. Die Frauen, die mitgemacht haben, sagen alle, daß er sie zu nichts gezwungen hat, daß es in gegenseitigem Einverständnis geschah und bloß Spaß war, nichts als ein großes Spiel. Er hat keine von ihnen mit Klebeband gefesselt, und er hat nie ein Messer benutzt.«
Joe schüttelt den Kopf. »Er fesselt gern Frauen. Na und? Das macht ihn noch lange nicht zum Mörder. Und wenn Sie ihn noch lange belästigen, werden am Ende Sie diejenige sein, die Schwierigkeiten bekommt. Er kann Sie durch eine richterliche Verfügung zwingen, sich von ihm fernzuhalten.«
»Ziemlich unwahrscheinlich, daß er das tun wird – ich habe letzte Nacht mit ihm geschlafen.«
Er schüttelt schon wieder den Kopf – das hat er in den letzten Monaten ziemlich häufig getan – und seufzt. »Wir können nicht beweisen, daß er sie umgebracht hat, aber das heißt nicht, daß er es nicht gewesen sein kann. Solange der Fall nicht aufgeklärt ist, bleibt er ein Verdächtiger.«
»Es gibt da etwas, das ich Ihnen verschwiegen habe«, sage ich. »Vor ein paar Tagen wäre ich auf einem Parkplatz beinahe von einem Auto überfahren worden. Die Scheiben waren getönt, so daß ich den Fahrer nicht sehen konnte, und das Ganze passierte so schnell, daß ich keine Zeit hatte, mir die Nummer zu merken. Aber finden Sie nicht auch, daß das ein seltsamer Zufall ist? So etwas ist mir vorher nie passiert – erst, seit der Professor weiß, daß ich vorhabe herauszufinden, wer Franny umgebracht hat.«
»Es ist sehr dumm von
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