Brennende Fesseln
vor, mit ihm über diese Dinge zu sprechen. Ich sinke noch tiefer in die Couch und ziehe die Decke bis zum Kinn hoch. Ich fühle mich unendlich müde.
»Warum hat sie mir nichts davon erzählt?« frage ich, aber M. antwortet nicht. Beide kennen wir die Antwort auf diese Frage.
»Setz dich auf«, sagt er und kommt zu mir herüber. Als ich mich vorlehne, läßt er sich auf der Couch nieder und zieht
mich wieder nach hinten in seine Arme. Ich lege den Kopf an seine Brust, lasse mich von ihm halten, spüre die Wärme und Weichheit seines Pullis. Seine heutige Demonstration hat mich nicht davon überzeugt, daß er kein Mörder ist, aber ich habe keine Angst mehr vor ihm. Jedenfalls nicht jetzt, nicht heute abend. Ich will bloß jemanden, der mich hält.
17
Seit mehreren Monaten fahre ich nun zu M., wann immer er mich anruft. Er steckt voller Überraschungen, und niemals – wirklich niemals – ist er langweilig. Wenn ich weiß, daß ich ihn sehen werde, zieht sich mein Magen nervös zusammen, teils aus Vorfreude, teils aus Aufregung, aber hauptsächlich aus Angst. Ich weiß nie, was ich von ihm zu erwarten habe. Einen Tag ist er nett, am nächsten fast schon sadistisch, einen Tag später väterlich. Inzwischen ist mir klar, warum er bei Frauen so gut ankommt. Er versteht es, wie Franny in ihrem Tagebuch schrieb, die Menschen in seiner Umgebung für sich zu gewinnen. Er hat die proteische Fähigkeit, sich zu verwandeln, derjenige zu werden, den man in ihm sehen möchte. Anfangs war ich meiner selbst so sicher, voller Vertrauen in meine Fähigkeit, M. zu verführen – aber inzwischen frage ich mich, wer da wen verführt.
Und ich warte darauf, daß er das Spiel eskalieren läßt. Der Sex mit ihm ist gut, besser als gut, aber immer noch innerhalb gewisser Grenzen. Ich weiß, daß das nicht so bleiben wird. Erneut lese ich Frannys unvollständiges Tagebuch, suche zwischen den Zeilen nach Hinweisen auf Nadeln oder Messer, finde aber nichts. Wenn sie doch nur das Paar am Lake Tahoe und M.s Vorliebe fürs Schneiden erwähnt hätte, dann könnte ich mit diesen Informationen zu Harris gehen. Ich lese das Tagebuch noch einmal, zum hundertsten Mal, nicht, weil ich
mein Gedächtnis auffrischen muß – ich kenne es fast schon auswendig –, sondern weil ich einfach nicht davon lassen kann. Ich bin abhängig geworden. Das Tagebuch ist mein Heroin. Ich lese, was er ihr angetan hat. Ich sehe, wie geschickt er sie in seine verdrehte Version von Sexualität hineinmanövriert hat, indem er am Anfang sehr sanft zu ihr war und seine Taktik erst änderte, als er sich ihrer Liebe sicher sein konnte. Ich nehme an, daß er dasselbe auch mit mir versucht. Irgendwann, er machte gerade Frühstück für mich, habe ich ihn gefragt, ob das sein Plan sei.
M. lachte über meine Frage. Er wollte gerade Rühreier machen, stellte die Pfanne aber wieder weg. Er schenkte ein Glas Orangensaft ein und brachte es mir an den Tisch. Inzwischen passe ich genau auf, was ich bei M. esse und trinke. Wenn er kocht, lasse ich ihn nicht aus den Augen, um sicherzustellen, daß nichts im Essen landet, was nicht hineingehört. Er stellte sich hinter mich und massierte meine Schultern. Dann beugte er sich zu mir herunter, küßte mich leicht auf den Hals und sagte: »Nein. Bei dir wird es nicht so sein wie bei Franny. Du wolltest mich noch nie sanft – jedenfalls nicht im Bett. Franny brauchte das, die sanften Berührungen, die zärtlichen Worte, aber du magst deinen Sex rauher, geradliniger, mehr auf den Punkt gebracht. Im Bett wünschst du dir Umgangsformen, die aufs Wesentliche reduziert sind. Da magst du es roh … triebhaft.« Er flüsterte mir das von hinten ins Ohr, während seine Hände sanft an meinem Hals und meinen Schultern herumspielten, die Spannung wegmassierten. Er hat Finger wie Magnete. Sie besitzen die Kraft, mich anzuziehen, mich immer näher zu sich heranzuholen. Wer von uns beiden hat eigentlich die Oberhand, frage ich mich einmal mehr, er oder ich? Manchmal bin ich nicht mehr in der Lage, diese Frage zu beantworten.
»Franny wußte nie, was als nächstes passieren würde«, fuhr er fort. »Wenn sie damals bei unserem ersten Treffen am Putah
Creek schon geahnt hätte, was ich mit ihr vorhatte, hätte sie sich nie mit mir eingelassen. Dafür war sie viel zu ängstlich. Ich mußte ihr geben, was sie wollte, bevor ich mir nehmen konnte, was ich wollte. Sie hatte keine Ahnung, war überhaupt nicht darauf vorbereitet, was dann kam. Du aber
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