Brennende Kontinente
Wasser, sie hörte das Schnauben eines Pferdes. Ihr Kopf schmerzte, und ihr Kinn fühlte sich geschwollen an.
Abrupt richtete sie sich auf und schaute sich um. Tokaro saß neben dem kleinen Feuer am Ufer des Baches,
an dem sie ihr Lager bezogen hatten. Er lächelte ihr zu.
»Hast du Hunger?« Über den Flammen drehte sich ein geschnitzter Spieß, auf dem kleine Vögel steckten. Estra schaute zu der schützenden Krone eines immergrünen Baumes auf, der sie vor dem niederprasselnden Regen bewahrte. »Sie sind gleich gar.«
»Du!«, rief sie wütend und sprang in die Höhe, eilte auf den jungen Ritter zu. Blätter fielen ihr aus den halblangen, dunkelbraunen Haaren. »Du hast mich niedergeschlagen und entführt!« Sie holte aus und drosch ihm die Faust auf die Nase.
Tokaro wehrte den Schlag nicht ab. Der Knochen gab knirschend nach. Ein heißes Gefühl breitete sich aus, als Blut aus seiner Nase schoss, in das sich Tränen mischten.
»Jetzt sind wir quitt«, sagte er und raffte einige Blätter zusammen, um das Blut aufzufangen. »Ich habe dich geschlagen, du hast mich geschlagen.«
»Wir sind noch lange nicht quitt, Tokaro!«, schnaubte Estra zornig. »Wie konntest du mich entführen, obwohl ich dir sagte, was für meine Heimat auf dem Spiel steht?« Sie trat ihm in die Seite, aber die Rüstung verhinderte, dass ihm Rippen brachen. Dafür verzog sie den Mund und hielt sich den Fuß.
»Hör auf, Estra!«, nuschelte Tokaro, weil er durch die anschwellende Nase kaum mehr Luft bekam.
»Ich musste es
tun.«
»So?« Sie stand neben ihm. »Weswegen?« Ihre karamellfarbenen Augen sprühten vor Aufgebrachtheit. »Und sag nicht, dass du mich vor den Kensustrianern retten wolltest.«
»Habe ich das nicht?«, gab er trotzig zurück und legte den
Kopf in den Nacken, damit das Bluten aufhörte. Er hatte
damit gerechnet, dass sie wütend auf ihn war, sobald sie
erwachte, aber dass sie sich dermaßen aufregte, hätte er niemals geglaubt. »Ich bringe dich ...«
»...zurück nach Khömalin«, führte sie seinen Satz zu Ende. »Was genau hast du nicht verstanden, als ich dir sagte, dass sie Ammtara angreifen und vernichten werden, wenn ich nicht bei ihnen bleibe?«
»Das ist eine Erpressung, die ich nicht dulde«, entgegnete Tokaro und spuckte Blut aus. »Es ist ungerecht. Außerdem werden sie es nicht wagen, die Stadt anzugreifen. Sie hätten ganz Ulldart gegen sich.«
»Hast du auch nur einen Augenblick darüber nachgedacht, wer es wagte, sich mit den Kensustrianern anzulegen? Oder es überhaupt wollte?« Estra achtete nicht auf das Blut, das der Ritter von sich gab, die Schmerzen hatte er sich verdient. Sie ging hinüber zu Treskor und hob den Sattel vom Boden auf, um ihn dem Schimmel auf den Rücken zu legen. »Ammtara ist die Stadt der Sumpfwesen, Tokaro, ein einstiger Ort der Finsternis. Bei aller Freundschaft, die zwischen den Bewohnern und Menschen herrscht, glaube ich nicht, dass auch nur ein Königreich dafür in den Krieg ziehen würde.«
Tokaro stieß einen leisen Pfiff aus, und der Hengst tänzelte zur Seite, als sie ihn satteln wollte. »Wir gehen nach Tarpol«, sagte er. »Ich kenne ein Versteck, in dem du vor den Priestern sicher bist.«
»Ich darf nicht flüchten, du verbohrter Ritter!«, tobte Estra. »Du hast es nicht begriffen.«
»Ich habe begriffen, dass die Kensustrianer Unrecht tun und du darunter leiden musst«, sprach er und
»Dass wir darunter leiden müssen.« Er fing eine Hand voll von dem Wasser auf, das an einigen Stellen durch das Astwerk rann, und wusch sich das Blut von Mund, Kinn und Nase. »Das lasse ich nicht zu. Und schon gar nicht lasse ich es zu, dass sie dir etwas antun. Ich glaube nicht, dass sie dein Leben verschonen.«
Estra warf den Sattel auf die Erde, Laub flog auf. Sie setzte zu einer harten Erwiderung an, dann schwieg sie und starrte hinauf zur Baumkrone. Schließlich kam sie langsam auf ihn zu und schlang die Arme um seinen Hals. »Verzeih mir. Ich weiß, welche Gefühle du für mich hegst. Und ich teile sie«, sagte sie äußerlich ein wenig ruhiger, auch wenn ihr Herz noch immer raste. »Aber uns bleibt keine Wahl.«
»Doch.« Er küsste sie auf die Stirn und schob sie sanft von sich. »Wir lassen es darauf ankommen.«
Sie starrte ihn wie einen Wahnsinnigen an. »Du würdest allen Ernstes eine Stadt mit Tausenden von Kreaturen aufs Spiel setzen, und das nur wegen mir?«
»Gibt es einen besseren Grund?« Er kreuzte die Arme vor seiner Brust, eine Geste der
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