Brennende Kontinente
Gesicht der Frau wurde freundlicher. »Das klingt doch gleich viel netter«, meinte sie und grüßte ihn mit einer Verbeugung. »Sagt Eurer Herrin, dass es uns eine Ehre ist, sie in unserem Haus begrüßen zu dürfen. Die borasgotanische Gastfreundschaft ist wohl auch in Tarpol bekannt.« Ihre Söhne senkten die Äxte. »Ich bin Balja Radowa. Kommt herein. Ich lasse sogleich eine Suppe bringen, mit der Ihr die Wartezeit
auf das Abendessen überbrücken könnt.«
»Sehr aufmerksam.« Stoiko stellte sich wie auch Waljakov vor und nannte einen falschen Namen für Norina, die den
Schlitten ebenfalls verließ und sich dem Haus näherte. »Wir
nehmen das Angebot gern an.«
Waljakov ging vor, eine Hand am Säbelgriff, danach folgten Norina und Stoiko. Die Hausherrin leitete sie in die gute Stube, die nicht mehr als dreimal vier Schritte maß und durch die vielen dunklen Möbel wie eine Rumpelkammer erschien. Ein gusseiserner Ofen in der Mitte des Raumes sorgte für leidliche Wärme, auf seiner Platte stand ein Teekessel. Waljakov blieb neben dem einzigen Fenster stehen und beobachtete, wie sich die Söhne um den Schlitten und die Pferde kümmerten. Stoiko und Norina setzten sich, die Frau schenkte Tee aus. Die Mäntel wurden nur geöffnet, nicht abgelegt.
»Was macht eine tarpolische Adlige in Borasgotan?«, plauderte Balja drauflos und schien sich nicht daran zu stören, es mit einer hochrangigeren Person zu tun zu haben. Norina befand sich nicht in der Stimmung, Konversation zu betreiben. Sie hatte auf der ganzen Fahrt wenn überhaupt gedöst und wurde von den schrecklichsten Albträumen geplagt. Zvatochna hatte ganze Arbeit geleistet und ihr ein Grauen eingepflanzt, das anhielt. Sie fragte sich, wie lange sie würde leiden müssen. Wie lange sie es ertragen konnte. Mechanisch nahm sie die Tasse und führte sie an die Lippen. »Unser Zungenschlag hat uns verraten, nicht wahr? Wir machen einen Verwandtschaftsbesuch, Radowa«, antwortete
Stoiko an ihrer statt.
Die Frau stellte den Kessel zurück und setzte sich auf die Liege. »Ich kenne die Tarpoler, Gijuschka, und weiß um ihre Art zu sprechen. Daher erkannte ich Euch sofort als Fremden.«
»Und Ihr betreibt eine Köhlerei mit Euren Söhnen?«, erkundigte sich Stoiko, um ihre Gastgeberin zum Reden zu
verleiten und Norina Ruhe zu verschaffen.
»So ist es nicht ganz. Ich verwalte die hoheitlichen Meilerhöfe in fünfzig Warst Umgebung und sorge dafür, dass die Lieferungen entsprechend den Anweisungen des Gouverneurs in der Provinz verteilt werden.« Balja erhob sich. »Verzeiht, ich werde die Suppe holen und Zimmer unter dem Dach herrichten lassen.« Sie verschwand aus dem Zimmer.
Norina schaute auf den Tee, der sich unvermittelt in dunkles, zähes Blut verwandelte; der Geruch brachte ihr Ekel und Übelkeit. Mit einem leisen Schrei warf sie die Tasse von sich, klirrend zerbrach das billige Porzellan auf dem Dielenboden, die heiße Flüssigkeit ergoss sich darauf.
»Was ist, Herrin?« Stoiko beugte sich zu ihr. »Nichts«, raunte sie und fixierte den Fleck, der sich in harmlosen Tee zurückverwandelt hatte. »Nur die ...«
»Albträume«, vollendete Stoiko seufzend. »Ihr seht sie schon am helllichten Tag.«
»Ich weiß.« Norina ballte die Fäuste, Tränen schimmerten in ihren braunen Augen. »Ich weiß es, Stoiko. Zvatochna hat mir Furcht eingegeben, die meinen Verstand zerfrisst.« Sie schaute ihn voller Angst an. »Ich werde wahnsinnig, oder? Bald wird alles, was ich betrachte, zu etwas Grauenvollem, sogar die Menschen verwandeln sich in Monstren. Nicht einmal mehr eine Blume werde ich betrachten können.« Ihre Hände griffen nach den seinen.
Selten hatte Stoiko sie in den letzten Wochen so gesehen. Immer war sie stark und unnachgiebig gewesen, hatte in den gefährlichsten Situationen Mut und einen klaren Verstand bewahrt. Aber die schützende Mauer aus Unerschrockenheit und wachem Geist bröckelte unter dem Ansturm dessen, was sie überall und ständig sehen musste.
»Ihr werdet das, was Euch peinigt, besiegen, Herrin«, sagte er langsam und betont. »Verzagt nicht!
Tarpol und Euer Gemahl brauchen Euch. Ein Cereler kann bestimmt etwas dagegen ausrichten.«
Sie lächelte tapfer. »Bestimmt.« Doch beide ahnten, dass es eine falsche Hoffnung war. Waljakov hatte sich nicht gerührt. Er wusste, dass er nichts gegen diese Bedrohung seiner Herrin unternehmen konnte. Er wandte den Blick wieder nach draußen, betrachtete die Straße, die anderen beiden
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