Brennender Stahl: Die Schattensammler-Saga (Die Chroniken von Mondoria) (German Edition)
Erleichterung stieg in dem Schmied auf. Und er schämte sich augenblicklich dafür. Vor allem für das Gefühl der Erleichterung. Sicher, die Dorfbewohner würden ihn nun nicht mehr verfolgen. Wie auch? Und vielleicht hatte sich seine Tat noch nicht weiter herumgesprochen. Bis zum nächsten Dorf waren es immerhin drei Tagesreisen. Da tratschte man nicht mal eben so über den Gartenzaun. Aber das hatten die Menschen hier nicht verdient. Niemand hatte so etwas verdient!
Ganz langsam erhob sich Einar. Er brauchte einen Moment, um einen festen Stand zu finden; denn seine Beine zitterten wie Espenlaub. Instinktiv griff er nach der Axt, die er sich auf den Rücken geschnallt hatte und packte sie fest mit beiden Händen. Sofort spürte er das wohlige Kribbeln, das von ihr ausging. Von den Fingerspitzen lief es über die Handflächen die Arme herauf und in den Brustkorb. Schnell war er ganz davon erfüllt. Ein gutes Gefühl. Die Waffe vermittelte ihm Kraft, Stärke und Selbstbewusstsein. Er fühlte sich einfach besser, wenn er sie hielt. Seine Angst verschwand allmählich. Nun konnte er sich an den Abstieg wagen. Schritt für Schritt näherte er sich dem Dorf. Immer bereit, einem möglichen Angreifer entgegenzutreten. Doch da gab es niemanden mehr. Und wer auch immer das hier angerichtet hatte, war längst verschwunden.
Mit weit geöffneten Augen schritt Einar durch das Tor des Dorfes – oder besser gesagt: durch das, was noch davon übrig geblieben war. Die schweren Torflügel aus massivem Holz lagen zerbrochen auf der Erde, die Scharniere mit brachialer Gewalt herausgebrochen. Die Stiefel eines der Torwächter schauten unter den Balken hervor. ‚Wer macht so etwas?‘ Im Dorf setzte sich das Bild des Schreckens fort. Männer und Frauen, Jung und Alt. Vor keinem hatten die mordenden Angreifer Halt gemacht. ‚Das konnten keine Nordmänner gewesen sein.‘, ging es Einar durch den Kopf. Die galten zwar als wild, aber sie besaßen Anstand und Ehre. Und Frauen und Kinder tötete man nicht einfach so. Da existierte eine natürliche Grenze, die niemand freiwillig überschritt. Einige der Leichen waren äußerst übel zugerichtet. Regelrecht zerfetzt. Leider hatte es nicht genug geschneit, um die Wunden zu überdecken. Einar konnte nicht sagen, wie lange sie schon tot da lagen. Die kühle Witterung verzögerte den Verwesungsprozess. Doch er vermutete, dass es schon einige Tage her sein musste. Also kurz nachdem er geflohen war. ‚Gab es da vielleicht einen Zusammenhang?‘ Schnell schob er diesen Gedanken beiseite.
Ohne es wirklich geplant zu haben, schritt er nun auf seine Schmiede zu. Auch diese lag in Trümmern. Nur der gemauerte Kamin stand fast unversehrt da – wie ein Zeichen des letzten, aber aussichtslosen Widerstands. Selbst den schweren Amboss hatten die Angreifer umgestoßen. ‚Welch‘ eine Kraft war dafür nötig !‘ Einars Schmiedewerkzeug lag überall am Boden verstreut. Wehmütig beugte er sich über einen seiner Schmiedehämmer und hob ihn auf. Der Hammer lag perfekt in seiner Hand. Ein Relikt aus besseren Zeiten. Ganz unwillkürlich sah er die Bilder vor seinem geistigen Auge entstehen – konnte die Hitze der Esse spüren, roch das Feuer – hörte das helle Klingen, wenn der Hammer auf das Metall traf. Und er sehnte sich nach nichts mehr als nach seinem alten Leben.
Da registrierte er plötzlich aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung. Auf der Stelle wirbelte der Schmied herum, Axt und Hammer bedrohlich vor sich haltend. In vielleicht fünfzehn Metern Entfernung entdeckte er eine Gestalt, die langsam auf ihn zugewankt kam. Ein Mensch, soviel schien sicher. Seine Schritte wirkten schwerfällig, mehr ein Schlurfen denn ein Gehen. ‚Vielleicht ist er verletzt? Ein Überlebender !‘, schoss es Einar durch den Kopf. Neugierig und ein wenig unsicher zugleich erwartete er den Ankömmling. Noch zehn Meter…acht…jetzt konnte er das Gesicht des Mannes erkennen. „Leif!“, rief er überrascht aus, „Bist du das?“ Dieser Mann sah genauso aus wie ein Freund von ihm. Leif, mit dem er schon als Kind durch die Wälder gestreift und Kaninchen gejagt hatte. Er wirkte mitgenommen. Die Arme hingen unnatürlich baumelnd an den Seiten herab, als wären sie gebrochen. Die Beine zitterten. Sein Gesicht war fleckig und mit zahlreichen Wunden übersät. Die Kleidung hing in Fetzen an ihm. Und auch am Körper konnte Einar eine Vielzahl an schweren Wunden entdecken. Dass jemand solche Verletzungen überleben konnte,
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