Brennender Stahl (von Hassel)
Langsam begann das Boot sich zu drehen, während es gleichzeitig langsamer wurde. Mehr und mehr wanderte der ferne Kreuzer nach links, bis er nur noch eine Winzigkeit links vom Netzabweiser auf dem Horizont zu balancieren schien. Eine optische Täuschung, aber sie machte Rudi Schneider klar, was der Alte vorhatte. Wie von unsichtbaren Fäden gezogen näherten sich der Kreuzer und U-68 einem Punkt, an dem der Kreuzer vorbeikommen würde, wenn er weiter der Kurland folgte.
Von Hassel schien die Gedanken seines IIWO zu ahnen. Er grinste freudlos. »Wissen Sie, das Problem bei diesem Spiel ist, dass keiner so genau weiß, wer Jäger und wer Gejagter ist, finden Sie nicht auch?« Er wurde ernst. »Wir haben eine Chance. Wenn wir es verbocken, dann ist das Troßschiff geliefert. Uns kann der Kreuzer nicht viel tun wenn wir erst einmal unter Wasser sind.«
Rudi Schneider blickte zum Himmel. Wieder blitzten Morsezeichen auf, die er laut mitlas: »Stoppen Sie sofort oder Sie werden beschossen!«
Von Hassel nickte und für einen kurzen Augenblick zeigte sein Gesicht seine Verzweiflung. »Sieht so aus, als ob der Bart ab ist!«
Wieder verstrich eine Minute. Dann plötzlich ertönte ein tiefes Grollen und der Kreuzer schien sich in eine Qualmwolke zu hüllen aus der zwei grelle Feuerzungen hervorstachen. Heulend flogen die Granaten durch den Abendhimmel. Die Sonne war untergegangen, aber noch herrschte keine Dunkelheit. Anscheinend wollte der britische Kommandant nicht riskieren, dass ihm seine Beute im Schutz der nahenden Nacht doch noch entkam.
Von Hassel richtete sein Glas auf das Troßschiff, dass nun, nach den verschiedenen Kursänderungen, als dunkle Silhouette an Backbord voraus stand. Er fühlte beinahe körperlichen Schmerz, als er die beiden hohen Wassersäulen sah, die dicht hinter dem Schiff aus dem Wasser sprangen. Vom Turm des U-Bootes aus sahen sie höher aus als selbst die eckige Brücke des Troßschiffes. So dicht, wie die Schüsse lagen, musste die achteren Aufbauten eine Menge Splitter geschluckt haben. Unwillkürlich musste er den Schauer unterdrücken. Niemand achtete auf das U-Boot. Selbst das Flugzeug konnte sie kaum noch entdecken, wenn es nur noch etwas dunkler werden würde, vor allem jetzt nicht, nachdem sie nur noch halbe Fahrt liefen und nicht mehr eine breite weiße Spur aus Schraubenwasser hinter sich herzogen. Und bei den Tommies waren alle Augen auf die Kurland gerichtet. Die Engländer wollten ihre Beute packen!
Der kurze Moment der Unsicherheit war vorüber. Er beugte sich über das Sprachrohr. »Für das KTB: Kreuzer eröffnet Feuer um 19:25 auf maximale Entfernung!« Er war wieder der Alte.
Der säuerliche Korditgeruch wehte bis zur Brücke der Kurland, als die Wassersäulen hinter dem Schiff in die Höhe fuhren. Korvettenkapitän Stülpe schnüffelte. Das war nahe gewesen. Die Tommies schossen gut! Er fuhr herum, als ein Telefon schrillte. Der Brückenmaat hob ab und lauschte hinein, dann hielt der seinem Kommandanten den Hörer hin: »Der Erste Offizier aus der Schiffssicherungszentrale!«
Stülpe nickte und nahm den Hörer: »Kommandant!«
»Wir haben ein paar Splitter im Achterschiff, aber nichts Ernstes! Ich will die Männer trotzdem etwas nach vorne verlegen!«
Stülpe unterdrückte ein Seufzen: »Eine gute Idee, tun sie das!« Er wusste, was sein Erster vor hatte. Überall im Schiff standen seine Männer in kleinen Gruppen, angetan mit Stahlhelmen, Werkzeugkästen und Tragen griffbereit. Alle warteten auf den ersten Treffer. Sie würden versuchen, das Schiff notfalls mit bloßen Händen zusammenzuhalten, Brände einzudämmen und Schotten abzustützen. Aber es bestand keine Notwendigkeit, die Gruppen in dem besonders gefährdeten Heckbereich zu lassen, sie konnten immer wieder dorthin vorstoßen, sollte der Kreuzer einen Treffer landen. Zornig blickte er nach achtern. Er tat alles, was er konnte. Nun waren die Engländer am Zug.
Wieder schrillte das Telefon und erneut hielt der Brückenmaat ihm den Hörer entgegen: »Der Zweite Offizier, Herr Kap'tein!«
Die Kurland hatte keinen eigenen Artillerieoffizier, schließlich war sie nicht für Gefechte gebaut worden. Bei drei alten Fünfzehnern hatte man das wohl für übertrieben gehalten und so hatte der Zweite diese Aufgabe mit übernommen. Er hielt den Hörer ans Ohr: »Kommandant?«
»Gegner ist auf zweihundert-hundert heran! Frage: Feuererlaubnis?« Die Stimme des jungen Oberleutnants klang überraschend ruhig und
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