Brennendes Schicksal (German Edition)
seinen plappernden, stoßenden, schwitzenden, gestikulierenden Haufen kümmern, dem nur noch wenige Minuten bis zur Aufführung blieben.
»Visconte, Eure Gattin ist eingetroffen«, berichtete Gianna vom Fenster aus.
»Wie schön«, antwortete er, doch er machte keine Anstalten, Beatrices Ankunft mit eigenen Augen zu sehen, sondern blieb bei seinen Musikern stehen und half dem Lautenspieler, eine neue Saite aufzuziehen.
Mimmo kam hereingestürzt, schwang die Glocke, sodass man meinen konnte, es wäre Feuer in der Stadt ausgebrochen.
»Die Aufführung beginnt. Die Schauspieler bitte alle nach draußen auf die Bühne«, schrie er und sprang gleich darauf hastig zur Seite, damit die drängelnden, stoßenden, kreischenden, plappernden oder ganz und gar verstummten Künstler ihn nicht am Türrahmen wie eine Fliege zerquetschten.
Jeder hatte nur Augen für sich, war ganz und gar damit beschäftigt, die letzten Minuten vor Beginn der Aufführung auf irgendeine Art und Weise herumzukriegen, ohne vor Aufregung und Lampenfieber zu platzen.
Niemand bemerkte Circe da Volterra, die sich in einer Ecke verbarg und die Vorstellung vom Rathaussaal verfolgen wollte.
Es dauerte eine ganze Weile, bis der schnatternde Haufen auf, neben und hinter der Bühne Aufstellung genommen hatte. Die Musiker stimmten ihre Instrumente, Angelo da Matranga begrüßte das Publikum als Gastgeber im doppelten Sinn – schließlich war er der Herrscher der Republik Siena und Veranstalter der Passionsspiele in einer Person – und hob den Taktstock. Noch einmal ließ er den Blick zu Laura schweifen und nickte ihr beruhigend zu, dann gab er dem Chor den Einsatz für das erste Lied.
Circe stand am Fenster, doch so, dass der Vorhang sie ganz und gar verdeckte und sie von den Menschen auf dem Campo nicht gesehen werden konnte. Sie hielt den Blick fest auf Alvaro del Gerez gerichtet, ließ ihn keine Sekunde aus den Augen, beobachtete jede Regung. Ihre Hände ballten sich dabei zu Fäusten, und ihr Gesicht, das sich “wunderbar erholt hatte und beinahe wieder so aussah, wie das Gesicht einer Frau von achtundzwanzig Jahren aussehen sollte, wirkte plötzlich grau und schlaff, von tiefen Falten durchzogen.
Unbewusst strich sie sich über das Haar, dessen graue Strähnen eine qualvolle Geschichte zu erzählen wussten.
Lange stand sie da, stand wie festgenagelt, doch ihre sonst so toten, leeren Augen sprühten Funken. Es waren Funken des Hasses und des Rachedurstes.
Alvaro del Gerez bemerkte von all dem nichts. Er saß, wie es sich für einen Ehrengast gehörte, auf der linken Seite der Viscontessa Beatrice da Matranga, die ihrem schwarzen Kleid mit einer winzigen goldenen Spange einen festlichen Anstrich gegeben hatte. Steif, mit kerzengeradem Rücken, lauschte sie dem Chorgesang und starrte auf die Bühne.
Der erste Höhepunkt der Passionsspiele nahte: Lauras Solo.
In ein himmelblaues Kleid gehüllt, das ihrer Jugend schmeichelte, mit offenem, bis zu den Hüften wallendem Haar stand sie da und blickte auf der Suche nach einem gütigen Gesicht, an dem sie sich festhalten konnte, hinunter zu den Plätzen. Für einen Herzschlag kreuzte sich ihr Blick mit dem Beatrices, und Laura erbebte. Der Blick der Viscontessa war kalt. Kalt und schneidend wie eine Schwertklinge. Die Wolken schienen sich zu verdunkeln unter diesem Blick, und ein eisiger Windhauch wehte die Sängerin an. Doch schon drängte sich der Bischof ins Bild, der sie freundlich anlächelte, eine Hand auf den Schenkel der Witwe Baldini, die andere auf seinen dicken Bauch gelegt hatte und um ein Haar wieder mit der Zunge geschnalzt hätte.
Laura beruhigte sich, der kalte Windhauch verschwand. Voller Konzentration sah sie nun zu Angelo, der den Taktstock hob. Das Spinett, am Vormittag von starken Handwerkern unter lauten Gestöhne und Geächze auf den Platz geschleppt, gab die ersten Akkorde von sich. Laura schloss die Augen, bog den Kopf nach hinten und atmete so tief ein, wie Circe ihr es gezeigt hatte.
Für einen kurzen Augenblick herrschte atemloses Schweigen. Die Menge starrte wie gebannt auf diese Venus im blauen Madonnenkleid. Es war so still, dass man selbst die Tauben, die es sich im Rathausturm bequem gemacht hatten, gurren hören konnte.
Doch dann erklang der erste Ton. Leise, sanft wie ein Frühlingshauch schwebte er über die vielköpfige Menge, der zweite, ein wenig kräftiger schon, folgte. Das Lied, Lauras Lied, begann.
Sie hatte die erste Zeile noch nicht gesungen, als selbst
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