Brennnesselsommer (German Edition)
sie einfach zu laut? Oder denken die Polizisten, Fränzis Leute hätten etwas Falsches gemacht?
Als sie wieder aus dem Bus krabbeln, sind die Polizisten abgefahren. Fränzis Freunde stehen zusammen. Die Frau, die vorhin Wein getrunken hat, spricht laut und aufgeregt vor sich hin, und auf einmal möchte Anja unbedingt nach Hause.
»Ich sage es ja«, orakelt Martin, »die Genehmigungen mal wieder. Jemand hat uns bei der Polizei verpetzt. Demnächst brauchen wir noch Genehmigungen zum Leben.«
»Ich geh dann«, sagt Anja leise, aber keiner hört sie, noch nicht einmal die Hunde achten auf sie, und sie geht langsam davon. Am liebsten würde sie noch ein bisschen im Dorf herumlaufen, weil sie schon ahnt, dass es zu Hause Ärger geben wird. Der Sonntag, der vorhin noch in den Gassen hing, hat sich aufgelöst, es ist nicht so ruhig wie sonst in Lauterbach, und ihre Eltern werden auch nicht in Sonntagsstimmung sein.
Und so ist es auch. Als Anja in ihre Straße einbiegt, sieht sie die Nachbarn in kleinen Grüppchen zusammenstehen. Auch ihre Eltern sind dabei, aber kaum haben sie Anja entdeckt, kommen sie beide rasch auf sie zu und schieben sie durchs Gartentor. Fast fühlt es sich an, als würde Anja abgeführt, es fehlen nur noch die Handschellen. Als sie das sagt, bleiben ihre Eltern wie angewurzelt stehen.
»Hör mal«, bricht es aus Mama heraus, »weißt dueigentlich, bei was für einem Blödsinn du mitmachst?«
»Das war kein Blödsinn«, murmelt Anja. »Wir wollten den Gnadenhof retten.«
»Und, habt ihr ihn gerettet?«, fragt Papa böse.
»Ich konnte doch Fränzi nicht alleine lassen.«
»Sie war nicht alleine«, sagt Papa scharf und wird immer lauter, »sie hatte einen Haufen verrückter Freunde dabei, und es gibt überhaupt gar keinen Grund, warum du da auch mitmischen musstest, ohne uns zu fragen, verstehst du!«
»Ich habe doch gefragt!«, ruft Anja. »Ich meine, Flitzi sollte euch fragen.«
»Und dann lässt du sie einfach hier stehen und kurvst mit den Verrückten durchs Dorf! Sie liegt in ihrem Zimmer und heult die ganze Zeit!«
»Sie ist halt zu klein«, sagt Anja trotzig, »wenn ihr mich schon nicht kämpfen lasst, dann darf sie doch erst recht nicht, oder.«
»Kämpfen!«, ruft Papa. »Kämpfen auf dem Dorfplatz von Lauterbach mit einem Rudel angetrunkener Spinner, und meine Tochter mittendrin!« Mama legt ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter, aber seine Wut ist unaufhaltsam, und er schüttelt die Hand sofort ab. Immer noch stehen sie vor dem Haus.
»Das ganze Dorf redet darüber! Reicht das nicht, wenn ihr eure Schule anpinselt? Müsst ihr euch jetzt auch noch mitten im Dorf mit der Polizei prügeln?«
Anja will gerade erklären, dass sich niemand geprügelt hat und dass die Polizei gar nicht gekommen wäre, wenn der rotgesichtige Schreihals nicht Alarm geschlagen hätte, und dass man sich wehren muss, wenn etwas Gutes einfach verschwinden soll. Da zieht Mama sie am Arm.
»Komm, wir gehen besser mal rein, wir müssen uns ja nicht vor den Nachbarn streiten.«
»Wir müssen uns gar nicht streiten«, sagt Anja. Es fehlt nicht mehr viel, und ihr kommen die Tränen. »Ich wollte nichts Dummes machen, und das sind keine Spinner, die wollten alle nur Fränzi helfen, und ihr mögt doch Fränzi auch, oder?«
Die Eltern sehen sich an. Einen Moment lang ist es ganz still. Anja schaut zu Boden und entdeckt plötzlich zwischen den kurz geschnittenen Grashalmen einen leuchtend grünen Grashüpfer.
»Tut mir leid wegen Flitzi«, meint sie leise.
»Geh zu ihr und sag ihr das.«
Schnell drängt sich Anja an den Eltern vorbei, läuft ins Haus und gleich in ihr Zimmer. Sie setzt sich auf den Boden und lehnt den Kopf an die Wand. Flitzi nebenan schluchzt laut, aber sie kann noch nicht zu ihr gehen. Sie muss erst noch warten, bis das Herzklopfen aufhört. Sie denkt mindestens zehn Gedanken gleichzeitig:
Fränzis Freunde sind keine Spinner. Der Mann mit dem roten Gesicht hat sie bei der Polizei verpetzt. Der Gnadenhof darf nicht zugemacht werden. Sie hat ganz nah neben Tim gesessen. Sie hat Angst gehabt und ist trotzdem nicht weggegangen. Sie hat Flitzi im Stich gelassen. Hoffentlich haben viele Leute unterschrieben. Hoffentlich darf sie weiter zu Fränzi gehen. Hoffentlich mögen ihre Eltern Fränzi. Nicht jeder muss so leben wie Fränzi, aber auch nicht jeder muss so leben wie ihre Eltern. Ferkel ist ein dummer Name für einen Hund.
Als Anja diese Gedanken alle durcheinander eine Weile gedacht hat,
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