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Brennnesselsommer (German Edition)

Brennnesselsommer (German Edition)

Titel: Brennnesselsommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
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kann sie zu Flitzi hinübergehen. Die liegt zusammengerollt auf ihrem Bett und schluchzt in regelmäßigen Abständen. Als sie die Tür gehen hört, hält sie einen Moment still, dann heult sie los wie eine Sirene. Anja geht auf Zehenspitzen zu ihr und setzt sich neben ihr auf das Bett.
    »Es tut mir leid«, flüstert sie, aber das kann Flitzi bei dem Gejaule gar nicht gehört haben. Anja rüttelt sie leicht an der Schulter.
     

     
    »Jetzt hör mal, ich wollte nicht ohne dich mitfahren. Plötzlich ging es los, und du warst noch im Haus, und da bin ich eben ins Auto gesprungen.«
    Flitzi rührt sich nicht, aber das Sirenengeheul hat aufgehört. Nach einer Weile richtet sie sich halb auf und wischt sich über das Gesicht. »Habt ihr den Gnadenhof gerettet?«
    Anja seufzt und lehnt den Kopf an die Wand. Auf einmal ist sie sehr müde.
    »Keine Ahnung.«

 
    In den nächsten Tagen machen alle einen Bogen umeinander, Mama und Papa um Anja, Anja um Fränzi, Flitzi um Anja und Anja um Flitzi. Nur Fränzi arbeitet vor sich hin, als wäre nichts geschehen. Sie streicht den Zaun zur Einfahrt, setzt Rankgitter neben die Haustür und deckt das Hühnerhaus neu. Manchmal, wenn sie eine Pause macht und den Rücken durchstreckt oder mit ihrem Kaffeebecher hinter dem Haus sitzt, legt sie die Hand über die Augen und schaut hinüber zu Anjas und Flitzis Haus. Flitzi winkt immer, wenn sie Fränzi entdeckt, aber sie läuft nicht wie sonst schnell hinüber, und Anja weicht zurück, als hätte sie sich an Fränzi die Finger verbrannt. Immer noch wartet sie darauf, dass ihre Eltern ihr sagen, ob sie Fränzi mögen oder nicht.
    Wenn Flitzi nach den Hausaufgaben zu Ole geht, fragt sie Anja manchmal, ob sie mitkommt, aber Anja hat keine Lust zu spielen. Eigentlich will sie überhaupt niemanden sehen. So wie jetzt. Sie liegt auf ihrem Bett und ärgert sich, dass sie sich zu ihrem Geburtstag keinen MP3-Player wie alle anderen gewünscht hat, weil sie es dumm fand, ständig Musik in den Kopf gestopft zu bekommen. Aber im Moment wäre es genau richtig, sich einen Knopf ins Ohr zu stecken und nichts mehr außer der Musik zu hören. Wenn sie zu Fränzi gehen könnte, hätte sie wenigstens etwas zu tun, aber dann müsste sie vielleicht auch zu viel an Tim denken, den sie dort in der Küche zum ersten Mal gesehen hat. Sie hat sich nicht richtig von ihm verabschieden können, und am Abend nach der Demo, als Fränzis Freunde sich alle noch einmal am Gnadenhof trafen und auf der Weide Lieder sangen und Wein tranken, konnte sie ja nicht mehr dazukommen, weil auf einmal alles kompliziert war, und wenn nun noch der Gnadenhof geschlossen würde, dann wäre alles zum Heulen.
    Plötzlich hat Anja Tränen in den Augen. Sie richtet sich auf und sitzt einen Moment lang reglos auf dem Bett. Draußen leuchtet die warme Septembersonne die Straße, das Haus und den Gnadenhof bis in die kleinsten Ecken aus. Das Stoppschild hinten an der Kreuzung glüht, als hätte jemand es angezündet. Aus der Ferne hört Anja Kinder laut rufen und Traktorengeräusch. Schnell springt sie auf, rennt die Treppe hinunter und zieht sich die Gummistiefel an.
    »Ich geh rüber zu Fränzi«, ruft sie. Und wenn dasirgendwem nicht passt, dann ist das einfach nicht zuändern.
    Als sie durch das Tor kommt, schaut Fränzi, die gerade ihre Motorsäge reinigt, gar nicht hoch.
    »Kannst du mir mal das Schmieröl aus der Scheune holen?«, sagt sie und schabt mit dem Schraubenzieher eine dicke Schicht verölten Dreck vom Sägeblatt herunter.
    »Klar«, sagt Anja und ist so erleichtert, dass sie einen kleinen Sprung macht, gerade als Fränzi doch zu ihr hochblickt. Beide lachen. Anja läuft zur Scheune und holt die verklebte Kanne. Sie sieht zu, wie Fränzi die Säge richtet. Das Öl sieht aus wie bernsteinfarbener Sirup.
    »Ich will bei dir wohnen«, sagt Anja auf einmal. Sie hat nicht lang nachgedacht, was sie damit meint, und erschrickt etwas über ihren eigenen Gedanken. Fränzi runzelt fragend die Stirn.
    »Ich zieh zu dir«, versucht Anja es noch einmal, und mit einem Schlag ist sie begeistert. »Ja, ich komme auf den Gnadenhof. Ich kann doch in der Kammer neben der Küche wohnen.«
    »Und deine Eltern?«
    »Die sehen mich ja trotzdem. Ich lasse die meisten Sachen drüben, weißt du? Und wenn sie mich sehen wollen, gehe ich rüber und spiele mit ihnen Fang den Hut oder esse mal Abendbrot mit ihnen. Ich will ja nicht weglaufen, weißt du? Ich will halt lieber hier sein. Bei den Tieren. Und

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