Brennnesselsommer (German Edition)
so herumtreibt.«
Herumtreibt. Anja findet das Wort unfreundlich. Sie untersucht die Gesichter ihrer Eltern, und wenn sie ehrlich ist, sieht es so aus, als seien Mama und Papa auch etwas beunruhigt.
»Wir bleiben jetzt alle noch ein bisschen wach und spielen etwas«, schlägt Mama vor, »und nachher schauen wir noch mal, ob Fränzi da ist.«
»Und wenn nicht?«
»Das sehen wir ja dann.«
Sie löffeln den Milchreis, und danach spielen sie Uno und Fang den Hut und trinken dabei Kamillentee, den eigentlich niemand mag, aber beruhigend ist er doch. Als Flitzi verliert, will sie sich wie immer mit Anja streiten, die schon mit einem verborgenen Lächeln zu ihr hinüberschaut. Aber dann müssen sie schon wieder an Fränzi denken. Anja überlegt sogar kurz, wo Krümels Körbchen stehen würde, wenn er bei ihnen bliebe, aber dann fällt ihr ein, dass Fränzi ja auf jeden Fall wiederkommen muss und wird. Mit etwas Glück ist sie vielleicht inzwischen schon nach Hause gekommen, ohne dass sie es bemerkt haben. Das kann zwar eigentlich kaum sein, weil man Fränzis Transporter immer hört, wenn er in die Straße einbiegt, aber manchmal passieren ja auch Dinge, die nicht sein können.
Schließlich packt Papa die Spielhütchen in den Karton und streckt sich.
»Kinder, jetzt aber mal schlafen gehen, es ist spät.« Anja und Flitzi drängen sich am Fenster und sehen hinüber zum Gnadenhof. Alles ist dunkel, und es ist klar, dass Fränzi noch nicht wieder zurück ist. Sie schauen sich an.
»Und ihr habt keine Ahnung, was Fränzi vorhatte?«, fragt Papa.
»Wir mischen uns da nicht ein«, sagt Mama. »Wir können ihr doch nicht nachspionieren, wir wissen doch gar nichts über sie.«
»Ihr vielleicht nicht, aber wir schon«, sagt Anja heftiger als beabsichtigt.
Sie erzählen ihren Eltern von Fränzis Plan, die Pferde von dem Reiterhof zu holen.
»Rächer der Gerechten«, murmelt Papa, »das kann ja auch nicht gut gehen, wenn einer allein Robin Hood spielt.« Da wird Anja gleich wieder wütend.
»Aber wenn es keiner macht, bleibt alles so, wie es ist! Fränzi macht was, und sie hilft den Tieren!«
»Jaja, ist schon gut, ich will deine Fränzi nicht schlechtmachen, aber wenn sie nicht wiederauftaucht, kann man sich ja schon mal fragen, ob sie nicht ein bisschen weit geht«, murmelt Papa. »Ich glaube nicht, dass sie allein die Welt verändern kann, und irgendwann wird sie sich ziemlich die Finger verbrennen.«
»Wie meinst du das?«, schreit Anja, aber Mama hat schon das Telefon geholt.
»Wir rufen jetzt die Polizei.«
»Und was sollen wir denen sagen? Dass Fränzi eine Nacht nicht zu Hause ist?« Der Vater schüttelt den Kopf. »Kinder, ihr seid so rettungslos naiv, das muss jetzt einfach mal gesagt sein.«
»Was heißt noch mal naiv?«, will Flitzi wissen, aber bevor sie diese Fragen geklärt haben, passiert etwas anderes. Sie hören draußen schnelle Schritte, und dann klopft jemand heftig gegen die Tür.
»Können die nicht klingeln?«
Flitzi ist schon an der Tür und reißt sie auf. Da steht Tim, außer Atem, mit blassen Lippen, seine Haare hängen ihm feucht in die Stirn. Er drängt gleich an Flitzi vorbei ins Haus und keucht, noch bevor er im Wohnzimmer ist: »Ihr müsst kommen! Die haben Fränzi was getan! Kommt schnell!« Die Eltern schauen den keuchenden Jungen entsetzt an.
»Wer bist du überhaupt?«
»Warst du etwa mit, Tim?«, fragt Anja. Dass auf einmal Tim vor ihr steht, macht sie ganz durcheinander, und zugleich schießt plötzlich wieder Angst um Fränzi in ihr hoch. Und ein bisschen eingeschnappt wäre sie auch, wenn sie Zeit dafür hätte: Warum hat Fränzi dann nicht auch sie mitgenommen? Flitzi und sie machen die ganze Arbeit auf dem Gnadenhof, und wenn es spannend wird, müssen sie zu Hause sitzen und Fang den Hut spielen.
»Tim gehört zu Martin, und der gehört zu Fränzi«, erklärt Flitzi.
Als Tim dann erzählt, was passiert ist, kann Anja nur froh und dankbar sein, dass sie gemütlich im Wohnzimmer geblieben sind. Tim ist ein paar Jahre älter, der kann solche Abenteuer eher überstehen. Aber richtig mutig sieht er gar nicht aus, er hat eine wackelige Stimme und ist überhaupt am ganzen Körper so zittrig, dass Mama ihm einen Stuhl hinstellt und eine Tasse Kamillentee einschenkt.
»Der Junge steht ja unter Schock«, raunt sie Papa zu.
»Die haben einfach draufgehauen«, wiederholt Tim immer wieder, »die wollten ihr wehtun, die haben nicht mehr aufgehört.«
»Wer denn, wer soll das denn
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