Brenntage - Roman

einem Bergwerk. Der Onkel murmelte auch noch etwas von einer «Klaue», doch es stellte sich heraus, dass ich ihn lediglich falsch verstanden hatte und er klar und deutlich von einer «Kaue» gesprochen habe, einer Hütte über Tage, in der sich die Minenarbeiter umzukleiden und zu waschen pflegten, dreckige Klauen hatten sie dabei allemal. Wenn man etwas «schrämen» wollte, dann hieß das nichts anderes, als «ins Gestein zu dringen» (die in ein «Flöz» geschnittene Kerbe hieß wohl auch daher «Schram»), der Onkel wies jedoch auch auf meine «Schrammen» hin, die damit wohl zusammenhingen und sich angeblich von «Schwertwunden» ableiteten.
    In den Minen war man immerzu am «Kohlen», «Pannen» oder «Schüppen»
(also arbeiten, wenn nicht schuften)
und kam dabei ganz schön ins «Ölen»
(Schwitzen), der Onkel grinste wölfisch,
in den Stollen machte man «seinen Bock blank»
(anscheinend brach man dann seinen Anteil aus einer Ader),
Störungen wurden «aufgewältigt»
(also reiner Tisch gemacht),
die verdreckte Kleidung wurde zu einem «Püngel» zusammengerollt und gegen gutes Zeug gewechselt …
So interessant das auch sein mochte, manchmal hätte ich ihm einfach nur liebend gern das Maul gestopft.
    Als die Tante noch lebte, sprach sie manchmal davon, dass freche und ungezogene Kinder in die Hölle kämen,
alle, die nicht folgen, werden ihr blaues Wunder erleben,
sagte sie, wobei blaue Wunder in meinen Ohren nicht weiter schlimm klangen, da konnte die Tante lästern, wie sie nur wollte. Blauwaren der Himmel und das Wasser, und blau waren (in meinen Träumen) die Augen der schönsten Mädchen in unserer Siedlung, die mir manchmal im Wald munter zuzwinkerten. Eine Weile glaubte ich schon, dass die aufgelassenen Minen bis zur Hölle reichen, schließlich führten sie einen jeden Unbedachten in die Dunkelheit und immer tiefer, und irgendwann würde die Finsternis in den Augen brennen (wie eine Flamme), und blau wären bestenfalls Erinnerungen an frühere, unbeschwerte Orte. Erinnerungen, die sich plötzlich wie ein Rudel Hunde im Kopf ausbreiteten, sie kratzten und scharrten und bellten lichterloh.
    Der Onkel erzählte mir auch noch, dass sich manche der aufgelassenen Stollen von ganz allein immer weiter in den Berg drängten, aus der Tiefe gab es (bei unzureichender Kenntnis der Gänge, Wege und Steige) kein Zurück. In der Siedlung waren einige der Meinung, dass die Geister der vielen in den Minen verstorbenen Arbeiter keine Ruhe fanden und zügig weitergruben,
vielleicht suchten sie zu entkommen, vielleicht folgten sie auch nur ihren alten Melodien,
hieß es.
    Als irgendwann die wild wuchernden Stollen die halbe Stadt auffraßen und nur einen kleinen Teil verschonten (unsere Siedlung), schickte die Verwaltung einige Landvermesser und Geologen. Sie untersuchten die Minen und vermaßen das verbliebene Land,
manchen Stein drehten sie um, und andere ließen sie achtlos liegen,
sagte der Onkel. Zuletzt sprachen sie von natürlichen geologischen Prozessen, das Land würde schon zur Ruhe kommen und die Katastrophe in Vergessenheit geraten (es versanken ganze Häuserzeilen in den sich willkürlich öffnenden Spalten, und ich wusste, es war ein
Inferno
).
    Die Geologen lachten und verschwanden bald wieder, bestimmt dachte keiner von ihnen daran, umzukehren oder sich jemals wieder hier blicken zu lassen, und niemand sah ihnen beim Abschied nach, als sie in ihre Fahrzeuge stiegen und hinter den nächsten Hügelketten verschwanden.
Früher nahmen viele, die im Umland der Siedlung zu tun hatten, spitze Stöcke mit sich, um bei jedem Schritt die Festigkeit des Bodens zu prüfen, wir ähnelten Moorbewohnern und Gletscherquerern,
sagte der Onkel. Doch nach ein paar Jahren hatten die Wälder und Gräser vieles überwuchert, sie stabilisierten das Land, und viele vergaßen die hungrigen Spalten, manche verschwanden tatsächlich für immer im grünen Dickicht. Nur die Bäume wuchsen seither schneller (möglicherweise wetteiferten sie mit den sich ausbreitenden Gruben), selbst Eichen und Linden waren in wenigen Jahren zu stattlicher Größe herangewachsen,
an nebligen oder nassgrauen Tagen konnte man ihnen dabei sogar zusehen,
sagte der Onkel. Millimeter um Millimeter schoben sie sich in die Höhe, erstickten all diejenigen, die nicht mit ihnen Schritt hielten, und es konnte tatsächlich passieren, dass sie einen Menschen willkürlich festhielten, ihn mit ihren Wurzeln umgarnten, Puppenspieler, die sich mit derben Späßen