Brezeltango
außer einem kleinen Ausschnitt aus einem Schlammweg.
»Wann musst du los?«
»Jetzt. Bin grade mit Packen fertig. Ich habe nebenher einen Kaffee getrunken und eines deiner leckeren Brötchen gegessen. Du bist nicht böse, oder?«
Er sah mir treuherzig in die Augen und ich wuschelte ihm durch die blonden Haare. Wir küssten uns sehr, sehr lange.
Dann löste sich Leon von mir. »Mach keine Dummheiten, während ich weg bin, okay? Und melde dich nach dem Vorstellungsgespräch. Ich drück dir die Daumen! Und das nächste Mal fahren wir zusammen weg und machen uns ein richtig tolles Wochenende in Hamburg.«
Klar, bei Leons Eltern zu übernachten war sicher total romantisch und würde unser im Moment etwas ausgebremstes Liebesleben wieder in Fahrt bringen.
Leon winkte mir von der Tür aus zu. »Ich melde mich heute Abend auf dem Handy, Süße.« Und weg war er.
Ermattet fiel ich zurück in die Kissen. Jetzt hatte ich alle Zeit der Welt, da konnte ich genauso gut weiterschlafen. Ich hatte heute nichts vor. Eigentlich war ich ganz froh, mal wieder ein paar Tage allein zu sein. Es war doch ziemlich anstrengend, dieses Paarleben. Ständig hatte man ein schlechtes Gewissen, weil man alte Freundinnen vernachlässigte, man musste Absprachen treffen, saubere Unterwäsche von A nach B und dreckige Unterwäsche von B nach A tragen, Gemüsetourismus betreiben und sich überlegen, ob man glücklich war oder vielleicht übersehen hatte, dass man sich gerade auseinanderlebte, weil man die geheimen Botschaften des Partners überhört hatte. Und wenn in den nächsten Tagen etwas schiefging, kriegte es Leon nicht gleich mit. Beziehungsurlaub! Ich würde die Woche genießen und mich fast wieder wie ein unabhängiger Single fühlen, allerdings ohne den damit verbundenen Frust, weil ich ja einen Freund hatte.
Ich würde entspannt weiterschlafen. Bloß leider schlief ich nicht mehr ein. Leons hastiger Aufbruch hatte ein schales Gefühl bei mir hinterlassen, fast wie eine dumpfe Vorahnung. Wie lange würde es dauern, bis wir uns wiedersahen? Ich warf einen Blick auf den Wecker. Ojeojeoje. Nicht dass ich Leon schon vermisste, schließlich kam ich prima ohne ihn zurecht und er war ja erst seit fünfunddreißig Minuten weg, aber es würde noch mehr als fünf Tage dauern, bis er zurückkam, ich war nicht so super im Rechnen, aber bei vierundzwanzig Stunden waren das: fünf mal vierundzwanzig sind hundertzwanzig, plus sechs für den Freitagnachmittag, macht hundertsechsundzwanzig Stunden, hundertsechsundzwanzig mal sechzig macht hundert mal sechzig sind sechstausend und sechsundzwanzig mal sechzig, ojeoje, macht überschlagen so ungefähr elftausend Minuten oder umgerechnet drei Millionen Sekunden.
Das war unmenschlich!
Eigentlich war es viel angenehmer, Single zu sein, da konnte man auch niemanden vermissen. Je länger ich im Bett lag, desto schlechter fühlte ich mich. Da gab’s nur eins: raus aus den Federn und rein in die Joggingschuhe! Ich hatte mir ja vorgenommen, in Leons Abwesenheit heimlich meine Form zu verbessern. Der würde Augen machen!
Auf dem Stuhl im Schlafzimmer hing Leons Bosch-T-Shirt vom Vortag. Ich nahm es in die Hand und schnüffelte daran. Es roch so gut nach Leon! Nach einer Mischung aus Aftershave, Deo, Grillwürsten und Schweiß. Ich zog es an. Ich ersoff beinahe darin, aber Leons Sportler-Aura würde mich sicher zu Höchstleistungen motivieren. Dazu schlüpfte ich in eine ausgeleierte schwarze kurze Hose, die ich bei Leon deponiert hatte, und in meine alten Turnschuhe, die ich mal versehentlich beim Streichen gelb eingefärbt hatte. Leon hatte mich bisher noch nicht überreden können, neue zu kaufen. Ich war nicht sicher, ob sich die Investition lohnte, weil ich noch nie die Endorphine ausgeschüttet hatte, die mir Leon versprochen hatte. Ich war beim Laufen eher unglücklich.
Dann machte ich mir einen Kaffee und aß eines der Brötchen vom Vortag, das ich eigentlich für ein gemütliches Frühstück mit Leon vorgesehen hatte. Ich fühlte mich schon viel besser. Sport war einfach gut für die Psyche.
In lockerem Trab lief ich die Treppen vom fünften Stock hinunter. Das hätte ich vor ein paar Wochen konditionsmäßig noch nicht geschafft! Im zweiten Stock wurde die Tür zu Herrn Dobermanns Wohnung hastig geschlossen. Ein paar Stufen weiter begegnete mir ein ziemlich junger und ziemlich gut aussehender Mann, der mich höflich grüßte. Herr Dobermann war um die fünfzig und arbeitete noch an seinem
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