Brezeltango
Intendant auch geglaubt«, sagte Leon. »Hamburch liegt aber an der Elbe.«
Alter Besserwisser!
Nach dem Dämmertörn wäre ich eigentlich noch gerne auf die Reeperbahn gegangen, um in einer zwielichtigen Hafenspelunke ein wenig verruchte Romantikluft à la Hans Albers zu schnuppern, aber Leon hatte mir sehr ernsthaft erklärt, dass die Reeperbahn ungefähr so romantisch war wie der Österreichische Platz in Stuttgart und dass dort am Samstagabend vor allem mittelalte Ehepaare aus Ingolstadt, Kaiserslautern und Pirmasens umherstolperten, die normalerweise keine einzige Ausgabe von »Wetten dass …?« verpassten und nun zur Abwechslung eine Gruppenreise »Verruchtes Hamburg« gebucht hatten, um ihr nicht mehr vorhandenes Sexualleben aufzumöbeln, was wir beide jedoch nach unserem heißen Nachmittag wirklich nicht nötig hatten. Die Ehepaare, so meinte er weiter, würden dann irgendwann in einem Straßencafé abgestandenes Bier für 25 Euro trinken und sich frustriert anschweigen, weil weder der Blick auf Straßennutten noch der auf die Leuchtreklamen der Peepshows den gewünschten Effekt gehabt hatte. Erst ab zwei Uhr nachts könne man guten Gewissens auf den Kiez gehen. Dann hatte er herzhaft gegähnt und mich zurück zu seinen Eltern gelotst.
Ich hatte gehofft, dass wir uns unbemerkt ins Bett schleichen und leise die Schiebetür hinter uns zuziehen würden, aber Hilde und Güntha saßen im Wohnzimmer, hatten Bier und Weißwein kalt gestellt und begrüßten uns freudig. Offensichtlich hatte Leon seinen Eltern versprochen, nach dem Dämmertörn noch ein Gläschen zusammen zu trinken. Das Gute daran war, dass Hilde Krabbenbrötchen, Heringssalat und Fischfrikadellen vorbereitet hatte, damit ich noch ein paar typische Gerichte probieren konnte, und nach den popeligen Würstchen auf dem Boot langten wir beide gierig zu. Leon hatte mich erstaunt angeblickt, als ich Interesse für alte Fotos heuchelte, aber Günther und Hilde waren entzückt und kramten bereitwillig in den Schubladen. Endlich tauchte ein Kinderbild von Günther auf. Er hatte schon als Kind sehr abstehende Ohren gehabt, wie ich erleichtert feststellte.
Mitten in der Nacht versuchte Leon mich wachzurütteln, weil ich angeblich irgendwann gesagt hatte, ich wolle auf den Fischmarkt gehen. Daran konnte ich mich überhaupt nicht erinnern, erklärte ihn für bekloppt, drehte mich auf die andere Seite und schlief sofort wieder ein.
Am späten Sonntagmorgen setzte Leon sein Themenwochenende Wasser fort und wir schipperten auf einer Fähre auf der Elbe an majestätischen Villen und futuristischen Neubauten vorbei. Das schien ein echter Geheimtipp zu sein, wenn man die geschätzten drei Millionen anderen Touris ignorierte, die sich um uns herum an der Reling drängelten. Am Wasser entlang spazierten wir zurück, Hand in Hand. Endlich wurde es romantisch!
In Övelgönne gruben wir in einem Café unsere Zehen in den Sand und beobachteten dann am Fähranleger einen Mann, der in den Seilen eines ziemlich sauber aussehenden historischen Segelschiffes hing und schrubbte. Seifenwasser tropfte in die Elbe. Das war also die Kehrwoche des Nordens!
Es war wirklich ein sehr schönes Wochenende gewesen, trotz der Streits, und auch wenn es gerne ein bisschen weniger Wasser hätte sein dürfen, wenn ich an die Geschichte mit dem Klo auf der Hinfahrt, mit dem Geldbeutel im Klo im Café und mit dem unfreiwilligen Bad in der Alster dachte. Hmm. Würde Leon auf Dauer in Süddeutschland wirklich glücklich werden? Vielleicht sollte ich möglichst bald einen Segelkurs auf dem Max-Eyth-See machen, damit wir unsere Freizeit besser gemeinsam gestalten konnten?
»Sag mal, Leon, wie hältst du es eigentlich in Stuttgart aus, mit so wenig Wasser?«, fragte ich. »Die Bärenseen sind doch wohl kaum ein adäquater Ersatz.«
Leon grinste. »Wenn ich an den Bärenseen joggen gehe, schließe ich die Augen und stelle mir vor, die Enten seien kleine Segelboote, die auf der Alster dümpeln«, sagte er. »Fühlt sich fast an wie zu Hause. Nur die steife Brise fehlt.«
»Du nimmst mich auf den Arm«, sagte ich.
»Ein bisschen. Seit wir zusammen sind, ist Stuttgart fast wie Heimat.« Er sah mich ernst an. »Wir gehören doch zusammen, wir beide. Vielleicht gehen wir ja irgendwann auch mal gemeinsam in den Norden?«
Ojeojeoje. Solche fundamentalen Fragen wollte ich mir im Moment eigentlich nicht stellen. Aber was, wenn Leons Sehnsucht nach der steifen Brise irgendwann zu groß wurde, und er
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