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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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seinen Seesack packen und zurück nach Hamburg gehen wollte? Würde ich dann wirklich mitgehen?
    »Meine Mutter meinte übrigens, du wärst schwanger«, sagte Leon.
    »Wie kommt sie denn darauf?«, fragte ich beunruhigt.
    »Weil du im Café stundenlang auf dem Klo verschwunden warst. Sie meinte, du hättest dich vielleicht übergeben.«
    »Nein«, sagte ich verlegen. »Mir ist der Geldbeutel ins Klo gefallen. Ich musste ihn erst trocknen.«
    Leon lachte laut auf. »Siehst du, hab ich Muddi auch gesagt, dass es dafür irgendeine schräge Erklärung geben muss.«
    »Was soll das denn heißen?«, sagte ich beleidigt. »Als ob mir ständig so was passieren würde!«
    Ein paar Stunden später saßen wir in Leons Wohnung und aßen die Reste vom Heringssalat, die uns seine Mutter mitgegeben hatte. Ich musste dringend mit Lila über Yvette reden und hatte deshalb Leons Übernachtungsangebot abgelehnt.
    »Ich wollte dich noch was fragen.« Leon räusperte sich.
    O Gott. Er würde mir doch keinen Heiratsantrag machen, weil Muddi ihm Flausen in den Kopf mit den noch nicht abstehenden Ohren gesetzt hatte? Ich war nicht reif für die Ehe!
    »Wir gehen mit der Abteilung auf den Cannstatter Wasen.« Er machte eine Pause.
    Es ging wohl doch nicht ums Heiraten.
    »Mit Partnerinnen beziehungsweise Partnern. Wir sind ja eh fast nur Männer.«
    Außer Yvette und der Sekretärin, dachte ich grimmig.
    »Übermorgen. Ich würde mich freuen, wenn du mitkommst.«
    »Klar komm ich mit«, sagte ich und knuffte Leon in die Seite. »Warum rückst du erst jetzt damit heraus?«
    Ich war als Kind zum letzten Mal auf dem Cannstatter Volksfest gewesen. Beim Boxauto-Fahren war ich auf das Lenkrad geknallt und hatte mir einen Zahn ausgeschlagen.
    Mittlerweile war es wieder trendy, zum Wasen zu gehen. Ins Bierzelt vor allem. Hurra! Leon würde mir ein Lebkuchenherz schenken! Was wohl draufstehen würde? »I mog di« oder vielleicht sogar »Ich liebe dich«? Er würde mit Pfeilen bunte Luftballons zerschießen und ein Plüsch-Eichhörnchen für mich gewinnen, ja, vielleicht reichte es sogar für eine Runde mit dem Riesenrad, bevor wir seine Kollegen trafen, Leon und ich, ganz allein in einer Gondel, unter uns die glitzernden Lichter der Buden und Schaugeschäfte ...
    Leon räusperte sich erneut. »Nun, es ist so, die Frauen und Freundinnen meiner Kollegen kommen alle im Dirndl.«
    Ich lachte. »Sollen sie meinetwegen. Ich komme in Jeans.«
    Leon lachte nicht. Er grinste nicht einmal, sondern sah im Gegenteil so aus, als ob er sich sehr unwohl fühlte.
    »Das ... das ist nicht dein Ernst«, sagte ich. »Du erwartest nicht, dass ich auch so ein Teil anziehe, oder? Wir sind doch nicht in Bayern! Außerdem: Für ein Dirndl braucht man Busen!
Ich habe keinen Busen!
«
    Das Trachten-Virus hatte Stuttgart im Vorjahr zum ersten Mal befallen. Im Prinzip normale Menschen präsentierten sich nun plötzlich in karierten Hemden und Kniebundhosen und stellten gnadenlos ihre Waden zur Schau, egal ob sich diese für eine Zurschaustellung eigneten oder nicht. Blutjunge Mädchen, die sonst bauchfreie Tops zum gepiercten Nabel trugen, warfen sich plötzlich in Spitzenblüschen und schnürten sich Schürzchen um. Es war nicht schwer, ihrer Spur zu folgen. Kichernd stiegen sie am Hauptbahnhof oder am Charlottenplatz in die Sonderlinie U11, die direkt zum Cannstatter Wasen fuhr. Schließlich wollte man Bier trinken. Da war das Auto nur hinderlich. Das Bier entsorgten die Männer an einer Pisswand, während die Frauen jedes Mal am Klowagen bezahlen mussten. Die Welt war ungerecht.
    Dieses Jahr warteten die Gesundheitsämter ungeduldig darauf, dass endlich die Schweinegrippe ausbrach, um ihre Krisenpläne in der Praxis zu erproben. Die Schweinegrippe ließ sich Zeit. Das Trachten-Virus nicht. Es war wiedergekommen, und es war stärker als je zuvor. Stuttgart Marketing hatte sogar eigens zwei Stuttgarter Dirndl-Modelle erfunden, ein kurzes und ein langes, mit dem Württemberg-Wappen drauf und einen Lederhosen-Dress für Männer. Selbst im Schaufenster vom Kaufhof am Hauptbahnhof trugen die Puppen plötzlich Dirndl.
    »Es ist deine Entscheidung«, sagte Leon kühl. »Ich kann damit leben, wenn alle Frauen in der Gruppe Dirndl tragen, nur Frau Praetorius trägt Jeans. Aber findest du nicht, dass man in einer Beziehung auch mal Kompromisse machen muss?«
    Ich starrte Leon völlig entgeistert an. Wieso war er plötzlich so kalt und abweisend zu mir? »Natürlich muss man in einer

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