Bride 02 - Tempel Der Liebe
weil sie sich nicht mehr bewegt hatte. Gerne begleitete sie ihre Großmutter ins Haus zurück. Dann sauste sie hinauf und zog sich um, während Mairead Eier briet und Brot röstete.
Ordentlich gekleidet, genoss sie die Mahlzeit, die sie in aller Ruhe mit der Großmutter einnahm. Sie hatte gerade den letzten Bissen verzehrt, als Mairead einen Augenblick verschwand und mit einem verschnürten Packen Papiere zurückkam, den sie auf den gescheuerten Kiefernholztisch legte.
»Du möchtest bestimmt einige Briefe deines Vaters lesen, in denen er von dir erzählt«, erklärte Mairead und schenkte ihr Tee nach.
Troth hielt den Atem an, als sie den obersten Brief aus dem Bündel zog. Auch wenn er durch das wiederholte Lesen abgegriffen und zerfleddert war, hätte sie die klaren, schwungvollen Schriftzüge des Vaters unter einem Berg von Briefen sofort wieder erkannt. Da sein eigener Vater Lehrer gewesen war, hatte er schön und deutlich zu schreiben gelernt.
Gleich im ersten Satz hieß es begeistert: »Wir haben eine Tochter! Li-Yin ist wohlauf, auch wenn sie sich grämt, dass sie mir keinen Sohn geschenkt hat, das törichte Mädchen. Wir haben das Baby Troth Mei-Lian (>Schöne Weide<) genannt und ich habe mich vom ersten Augenblick an in sie verliebt. Sie ist das niedlichste Kind, das man sich vorstellen kann.«
An den Lippen nagend, las Troth Brief für Brief. Ihr Vater war ihr so nah, dass sie glaubte, seine Stimme zu hören. In Kanton hatte sie ganz vergessen, wie sehr sie als Kind geliebt worden war.
Als sich ein Tränenschleier über die Augen legte und sie nicht mehr weiter lesen konnte, reichte ihr die Großmutter ein Taschentuch. »Du warst der Inhalt seines Lebens, Troth. Wenn Hugh nur lange genug gelebt hätte, um dich selbst nach Hause zu bringen!«
Troth barg ihr Gesicht in dem weichen, mit Spitzen umsäumten Viereck. War es ein Zeichen der Schwangerschaft, dass sie so leicht in Tränen ausbrach? »Danke, dass ich die Briefe lesen durfte, Großmutter. Mir kommt es vor, als stünde er hier neben mir.«
»Manchmal, wenn ich den Gedanken an seinen Tod nicht ertragen konnte, habe ich seine Briefe gelesen und so getan, als ob er glücklich und zufrieden am anderen Ende der Welt lebte.« Liebevoll band Mairead die Briefe zusammen. »Es ist nicht gut, wenn man seine Kinder überlebt.«
In diesem Augenblick fühlte sie sich ihrer Großmutter sehr nahe und hatte den Wunsch, alles zu erzählen, was ihr Herz bewegte. Stockend sagte Troth: »Ich ... ich glaube, ich erwarte ein Kind.«
Mairead blickte kurz auf. »Was du nicht sagst! Bist du sicher?«
»Es ist noch zu früh, um sicher zu sein, aber mein Herz sagt es mir.«
»Möglich, dass du dich nicht täuschst. Frauen wissen das oft schon lange vorher, bevor sie den Beweis haben.« Mairead lächelte. »Dann wirst du Maxwell also heiraten. Ich nehme an, dass es sein Kind ist... etwas anderes würde ich von meiner Enkeltochter nicht erwarten.«
»Es ist seins, aber ich habe meine Zweifel, ob ich ihn heiraten soll.«
Maireads Brauen zogen sich zusammen. »James hat mit ihm gesprochen, und Maxwell sagte, dass er bereit sei, das Richtige zu tun. Oder ist er ein Schwindler?«
Das Richtige. Troths Widerstand wuchs. »Ich bin sicher, dass er seinen Pflichten nachkommen würde, aber ich möchte nicht aus einer Verpflichtung heraus geheiratet werden. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt verheiratet sein möchte. Ich dachte, bei einem handfast haftet kein Makel an der Frau, wenn das Paar sich nach Ablauf der Frist zur Trennung entschließt. Kyle braucht nichts von dem Kind zu wissen. Ich kann es auch ohne ihn großziehen.«
»Das mag alles für wilde Hochländer gelten, aber ein solcher Brauch ist bei uns hier selten, vor allem unter den gebildeten Leuten. Was hast du an Maxwell auszusetzen? Schlägt er dich?«
»Gott bewahre, nein! Er ist immer freundlich und rücksichtsvoll.«
»Dann musst du mir einen besseren Grund auftischen als solch weltfremde Albernheiten.« Mairead neigte den Kopf zur Seite. »Oder sind das chinesische Ansichten?«
Troth lächelte ohne Humor. »Genau das Gegenteil. In China hat man mir viel zu lange gesagt, wie ich mich zu verhalten habe, und jetzt möchte ich mir nichts mehr vorschreiben lassen.«
»Du bist Hughs Tochter, unbestreitbar.« Mairead trommelte mit den Fingern auf den Küchentisch. »Du bist eine erwachsene Frau, und wir können dich nicht zwingen, gegen deinen Willen zu handeln. Aber du musst dir deinen Entschluss gründlich
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