Bride 02 - Tempel Der Liebe
gearbeitet.«
Troth ließ die Gräfin und ihr Mädchen herein. Sie hatte sich schon innerlich darauf vorbereitet, herausgeputzt zu werden. Lieber hätte sie sich in ihrem Zimmer versteckt und während des Balls gelesen, aber das ging nicht. Keiner hatte es laut ausgesprochen, aber es war klar, dass der Ball dazu diente, sie öffentlich als Mitglied der Familie Renbourne vorzustellen.
Meriel rollte sich wie ein Kätzchen auf ihrem Sessel zusammen. Die Magd begann, Troth zu frisieren. Die Frisur wurde komischerweise >ä la Chinoise< genannt. Sie bestand aus einem geflochtenen Knoten und vielen kleinen Löckchen, die ihr Gesicht einrahmten. In den Knoten wurden Blumen aus Meriels Gewächshaus gesteckt. Die Frisur sah überhaupt nicht chinesisch aus, aber sie war wirklich sehr hübsch.
Danach wurde ihr die Unterwäsche und sogar ein Reifrock angezogen. Stoisch ließ Troth alles über sich ergehen. Das Korsett wurde sehr fest zugeschnürt. Die Europäer verurteilten den chinesischen Brauch, den Frauen die Füße zu verbinden. Aber sie hatten wirklich keinen Grund, auf eine Erfindung wie das Korsett stolz zu sein.
Zuletzt kam das Kleid. Troth schlüpfte hinein. Dann wurden die Schlei fchen festgezogen, die ihre Figur betonten. Lange hatten sie überlegt, welchen Stoff sie für das Kleid nehmen sollten.
Mrs. Marks, eine von Meriels Tanten - die allerdings in Wirklichkeit keine Tante, sondern eine Art Cousine war -, hatte Troth die Regeln der Trauer erklärt. Wenn der Ehegatte starb, trug man zwölf Monate lang Trauer. Im Gegensatz zu China, wo die Trauerfarbe Weiß war, musste man hier sechs Monate lang Schwarz tragen. Die Trauernde durfte auch nicht an gesellschaftlichen Aktivitäten teilnehmen. Danach kam die zweite Trauer, in der man dunkles Grau, Lavendel und ein wenig Weiß tragen durfte.
Meriel hatte sich geweigert, für Troth schwarze Kleider anfertigen zu lassen, da dies überhaupt nicht den chinesischen Bräuchen entsprach. Aber sie hatte sich mit Mrs. Marks geeinigt, dass Troth bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt zweite Trauer tragen sollte. Die Schneiderin hatte ein wunderschönes Seidenkleid in sanften Lavendeltönen angefertigt, das hervorragend zu Troths Teint passte.
Troth hatte sich vertrauensvoll in die Hände von Meriel und der Schneiderin begeben und war schockiert, als sie jetzt in den Spiegel blickte. »Das kann ich nicht in der Öffentlichkeit tragen«, rief sie. »Es ... es ist unanständig.«
Meriel runzelte die Stirn. »Unanständig?«
Troth hatte sich schon an die anliegenden europäischen Kleider gewöhnt, obwohl sie die lockeren chinesischen Sachen vorzog. Auch hatte sie festgestellt, dass ihr Busen, der ihr in China unanständig groß vorgekommen war, hier als gut proportioniert galt.
Aber sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, wie sie in einem modischen Abendkleid aussehen würde. Sie starrte auf den tiefen Ausschnitt, die viele nackte Haut. Verzweifelt stellte sie fest, dass ihr Busen durch das Korsett geradezu riesig aussah. »Das Kleid liegt an wie eine zweite Haut und hat ja gar kein Oberteil!«
»Dabei ist es für ein Ballkleid sogar recht hochgeschlossen.« Meriel legte nachdenklich den Kopf zur Seite. »Sind chinesische Kleider sehr anders?«
»Der Körper einer Frau sollte bedeckt bleiben. Sein Anblick ist nur für die Augen ihres Mannes bestimmt. Selbst der Hals sollte nicht zu sehen sein. Deshalb haben Frauenkleider bei uns einen Stehkragen.«
»Könntest du dich in diesem Kleid wohl fühlen?«, fragte die Gräfin sanft. »Du siehst sehr gut darin aus.«
Troth holte tief Luft - wodurch der Ausschnitt noch unanständiger aussah - und versuchte sich objektiv zu betrachten, ohne Scham. Das Kleid war wunderbar geschnitten und passte hervorragend. Sie sah beinahe englisch darin aus.
Sie wollte so gerne englisch aussehen. »Ich ... ich könnte es schon tragen, wenn es dein Wunsch ist.«
»Wichtig ist, wie du dich dabei fühlst.«
Troth biss sich auf die Lippe. Die Renbournes ermutigten sie immer, ihre Wünsche frei zu äußern. Aber sie konnte sich einfach noch nicht daran gewöhnen. Sie war jetzt eine Lady, eine Gräfin, und hatte das Recht auf eine eigene Meinung. »Ich ... ich möchte das Kleid tragen. Kyle hätte sich bestimmt gewünscht, dass ich für seine Freunde und seine Familie so gut wie möglich aussehe.«
»Sehr gut.« Meriel öffnete ein kleines samtüberzogenes Schmuckkästchen und holte eine kostbare Halskette aus Perlen, Amethysten und Gold heraus.
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