Briefe aus dem Gefaengnis
war für die Schaffung und anschließende Privatisierung großer wissenschaftlich-industrieller Komplexe, nach dem Vorbild von Gasprom (nicht unbedingt so groß, aber von ähnlicher Struktur). In der Regierung nannten wir das aktive Industriepolitik (nicht nur die Schaffung solcher Komplexe, sondern auch eine gewisse konkrete Zielsetzung, die Festlegung von Aufgaben und Prioritäten).
Als meine Ideen nicht genehm waren, verließ ich die Regierung, wobei ich ankündigte, den Blödsinn auszunutzen, den sie verzapfen würden. Zum Beispiel die frei konvertierbaren Voucher. Ich hatte gleich gewarnt, dass das ein schlechtes Ende nehmen würde, dass die tschechische Variante besser sei (dort gab es »geschlossene Fonds«), aber man unterstellte mir – wie immer – eigennützige Interessen. Worin die bestanden, war allerdings unklar. Ich stritt nicht weiter. Wenn nicht, dann eben nicht.
Dafür habe ich später – und hier können wir von den Grenzen des Erlaubten reden – jede Lücke im Gesetz ausgenutzt und den Mitgliedern der Regierung immer persönlich dargelegt, welche Lücke in ihren Gesetzen ich wie nutzen werde oder bereits nutze.
Ja, das war eine kleine Rache, womöglich die Sünde der Eitelkeit. Aber ich muss sagen, sie verhielten sich anständig: Sie prozessierten, schlossen die Lücken mit neuen Gesetzen und Verordnungen, ärgerten sich, warfen mir aber nie unfaires Spiel vor. Es war eine Art ständiges Turnier zwischen uns.
Hatte ich »im Großen und Ganzen« recht? Ich bin nicht sicher. Einerseits habe ich objektiv die Industrie gefördert, andererseits habe ich die Regierung, die nicht die schlechteste war, gefährdet. Einerseits habe ich natürlich alle mir zur Verfügung stehenden Mittel in die Industrie investiert. Sinnvoll investiert. Ich habe nie geprotzt und das auch anderen nie gestattet. Aber zugleich habe ich mir nicht viel Gedanken gemacht über die Menschen, über meine soziale Verantwortung jenseits meines, wenn auch sehr großen, Kollektivs.
Was die »Brutalität« bei der Aneignung und Umverteilung angeht – die Antwort auf diese Frage ist zum Lachen, geradezu unglaublich.
In der »oberen Liga« spielten höchstens zwei Dutzend Leute mit. Mehr waren es einfach nicht. Bei den »Pfandversteigerungen« waren aber beispielsweise 800 Betriebe auf der Liste. Wir alle zusammen konnten höchstens 70 schaffen.
Ich selbst musste alles andere aufgeben, um Jukos zu schultern. Ständig unterwegs sein, die Bank aufgeben, alle zuvor erworbenen Betriebe verkaufen. Zum Beispiel hatten
mir bis dahin die gesamte Baustoffproduktion für ganz Moskau, eine Reihe von Hüttenwerken und die berüchtigte Firma Apatit 21 gehört.
Das war kein Spaß, das war richtige Arbeit. Die Unternehmen der anderen interessierten mich absolut nicht. Wir alle machten einander höchst selten Konkurrenz, wir hatten mit dem allgemeinen Schlendrian und Verfall genug zu tun. Auch von Kriminellen wurden wir kaum behelligt, denn sie hatten keine Ahnung, was bei solchen Riesenunternehmen zu holen war und wie. Natürlich gab es auch brutale Typen, es gab Risiken, aber insgesamt ging es damals in der oberen Liga, verglichen mit den jetzigen »feindlichen Übernahmen«, ziemlich harmlos zu.
Als beispielsweise der inzwischen verstorbene Wolodja Winogradow (Inkombank) mich beim Kampf um die VNK 22 behinderte, bot ich ihm eine Abfindung an, und als er dies ablehnte, übertrumpfte ich ihn bei der Auktion. Was mich natürlich einiges kostete.
Das war die übliche Praxis: PR-Kampagnen, Lobby-Arbeit, Geld. Aber nichts Verbotenes, keine Miliz. Wer durch so etwas aufgefallen wäre, mit dem hätte einfach niemand mehr Geschäfte gemacht, aus reinen Sicherheitserwägungen. Und er wäre schnell geliefert gewesen.
Genau das ist der Grund, warum alle Nachforschungen der Generalstaatsanwaltschaft in den letzten Jahren so wenig überzeugende Ergebnisse gebracht haben.
Solange in der »oberen Liga« noch keine ehemaligen Mitarbeiter der »Rechtsschutzorgane« mitspielten, war die Grenze so gezogen, dass man das, was man tat, vor einem Schiedsgericht (das nicht unbedingt vollkommen unabhängig war, aber auch nicht so stark kontrolliert wie die heutigen Basmanny-Gerichte 23 ) verteidigen konnte. Es gab eine weitere Grenze. Zwar konnten die Leute aus dem Staatsapparat einen unterstützen, und sie taten das vielleicht, um davon selbst zu profitieren. Aber sie waren sich stets bewusst, dass sie dem Premierminister und dem Präsidenten Rede und Antwort
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