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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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Ende zu. In den nächsten Tagen kommt die Ehrwürdige Mutter Witwe Shi-shmi. Ich werde in ein öffentliches Gästehaus ziehen, wie sie hier in der Stadt vielfach Fremden gegen Bezahlung zur Verfügung stehen. Frau Pao-leng hat mir versprochen, ein mir angemessenes, bequemes und in der Nähe ihrer Wohnung befindliches auszusuchen. Wir werden heute – unter anderem – darüber sprechen. So eile ich denn, grüße Dich aber auf das innigste und bin
    Dein ferner Freund Kao-tai

Siebzehnter Brief
    (Donnerstag, 3. Oktober)
    Liebster Dji-gu.
    Heute haben wir den dritten Vollmond, seit ich auf diese ferne Welt meinen Fuß gesetzt. Die Tage werden kürzer, die Nächte sind schon merklich kühler, aber das Wetter dieses Herbstes ist sonst überraschend schön und mild.
    Für Deine in letzter Zeit so überraschend häufigen Briefe danke ich Dir, auch für Deine herzliche Anteilnahme an meiner Bekanntschaft mit der Dame Pao-leng, die sich in so vielen freundschaftlichen Fragen äußert. Daß der Vizekanzler den Vorschlag einer Heirat zwischen seinem trotz seines Schielens die Erde überstrahlenden Sohn mit einer meiner lehmverkrusteten, abscheulichen Töchter, nach deren Hand sich andere, gleichrangige Väter die Finger abschlecken würden, abgelehnt hat und weiterhin auf seinem Vorschlag hinsichtlich meines kostbaren Deckhengstes beharrt, finde ich – um einen Ausdruck der Großnasen zu gebrauchen – »einen dicken Hund«. Wenn man etwas »einen dicken Hund« findet, meint man in der Sprache der Großnasen: es sei eine dreiste Ungehörigkeit. Was denkt sich der Kerl? Was ist schon ein Vizekanzler? Ich muß schließlich an die Versorgung meiner Töchter denken. Sie werden auch nicht jünger. Geh hin zu ihm, ich bitte Dich, und sage ihm, daß er Dir eine Liste seiner Stuten nebst genauem Stammbaum geben soll. Schreibe mir dann aus der Liste diejenigen Stuten ab (auch den Stammbaum, versteht sich), die Deiner Meinung nach für meinen köstlichen »Weißen Traum vom zunehmenden Mondviertel« in Frage kämen. Dann werden wir weitersehen. Aber bedeute ihm gleich – ich meine dem Vizekanzler –, daß ich nur bereit bin, ihm den Hengst zum Decken der Stute zu überlassen, wenn sein Sohn mindestens eine meiner Töchter heiratet. Nein, sage ihm: mindestens zwei. Auf eine herunterhandeln lassen können wir uns immer noch. –
    Ich wohne nun, seit vorgestern, in einem öffentlichen Gästehaus. Hong-tel heißen diese Häuser und sind nicht gleichzeitig Bordell; jedenfalls habe ich noch nichts davon gemerkt. Ich schreibe diesen Brief schon in der Großen Halle dieses Hong-tel, das den Namen »Hong-tel von den vier Jahreszeiten« trägt. Frau Pao-leng hat alles für mich geregelt. Sie hat mir auch eines dieser seltsamen viereckigen Lederetuis geliehen – die Ko-feng heißen –, ohne die die Großnasen nie zu verreisen pflegen. Sie hat gesagt: in diesem Etui kann ich meine Großnasenkleidung befördern und überhaupt alle Sachen, die sich inzwischen als mein Eigentum hier angesammelt haben. Außerdem, sagt sie, sei es nicht gut, wenn einer ohne Ko-feng in so ein vornehmes Gästehaus wie dieses Hong-tel kommt. Der Beschließer könne meinen, man sei eine unbedeutende Person, wenn man ohne Ko-feng eintrifft. Der Rang werde an Anzahl und Größe der Ko-feng gemessen. Frau Pao-leng hat mich mit ihrem A-tao-Wagen bei Herrn Shi-shmi abgeholt, obwohl sie, wie sie sagt, unvorstellbar viel zu tun hat – frage mich nicht: was? Ich weiß es nicht. Außer dem Etui, in das sie meine Sachen packte, brachte sie noch weitere drei gefüllte Ko-feng mit, damit ich als Inhaber von vier Ko-feng mit gebührendem Respekt im Hong-tel behandelt werde. Ich muß nun zwar ziemlich weit fahren, um zum Kontaktpunkt für unsere Briefe zu gelangen, aber dafür wohnt Frau Pao-leng in einem Haus, das hier ganz in der Nähe liegt. Wenn ich nicht zu kleine Schritte mache, brauche ich fünfhundert. –
    Der Abschied von Herrn Shi-shmi war sehr herzlich. Wir beschlossen, daß durch meinen Umzug unsere Verbindung keineswegs abreißen würde. Für einen der nächsten Tage verabredeten wir uns, damit er mich in eine Gerichtsverhandlung führen könne. Das private Leben der Großnasen habe ich ja nun schon kennengelernt; es ist Zeit, daß ich mich dem Studium des öffentlichen Lebens zuwende. Außerdem werde ich regelmäßig die Musikabende von Herrn Shi-shmi und seinen drei Musik-Freunden besuchen. (Vor drei Tagen habe ich – mit womöglich noch tieferer Erregung – den

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