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Brigade Dirlewanger

Brigade Dirlewanger

Titel: Brigade Dirlewanger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Partisanen zu erkennen.
    Der Mann mit der Nickelbrille zielt. Die Abschüsse sind dünn, aber sie verlängern das Leben um eine halbe Minute oder noch mehr.
    »Wenn ich Ihnen den Befehl gebe«, sagt Vonwegh, ohne den Blick vom Feind zu nehmen, »nach rechts aufzuschließen, sind Sie fertig …« Er hört den schweren Atem Brillmanns und dreht sich nicht nach ihm um. »Wenn Sie den Befehl nicht ausführen, kann ich Sie abknallen … Das Lob darüber steht noch in meiner Todesanzeige …«, setzt er ironisch hinzu. Dann dreht er sich um und sieht den ehemaligen Staatsanwalt drohend an. »Was ist mit Karen?«
    Der Mann keucht, zerrt, stöhnt. »Hab' ich doch schon …«
    »Wo ist sie?« unterbricht ihn Vonwegh.
    »Von der Justiz entlassen«, gurgelt der Bindestrich, »und dann …«
    »Und dann?« wiederholt der Zugführer.
    »Ins KZ gekommen …«, würgt Brillmann hervor. »Ich … ich kann nichts …«
    In diesem Augenblick knallen rechts die Handgranaten. Kortetzky feuert aus der Hüfte. Zwei andere B-Soldaten rollen die MG-Stellung auf …
    Vonwegh spürt die Haut im Rücken wie Wellblech, springt hoch, wie von der Schnur gezogen, ferngesteuert vom eigenen Willen. Zehn Schritte, zwanzig. Die anderen dicht hinter ihm, so schnell sie können, nach vorne getrieben von den brutalsten Einpeitschern, die es gibt: der Gier nach Leben, der Angst vorm Sterben.
    Vierzig Schritte. Nichts rührt sich. Vorne links überrundet einer den Zugführer. Kordt, der Junge, stellt Vonwegh flüchtig fest. Noch ein paar Schritte. Nach Kortetzkys Handgranatenanschlag auf das MG-Nest der Partisanen schenkt feindliche Verwirrung dem Restbestand des ersten Zugs achtzig, neunzig Meter Leben.
    Die ersten Querschläger heulen ihnen um die Ohren. Der Junge links macht zweimal die Rolle vorwärts. Sein Zugführer haut sich neben ihn. Doch nicht Kordt, denkt Vonwegh, als er in das Gesicht des Sterbenden sieht.
    Er preßt sich an den klammen Boden. Einen Meter schafft er, fast ohne sich zu bewegen. Ein Baumstumpf schirmt ihn nach links ab. Jetzt kauert Vonwegh in Deckung, vergleichsweise bequem. Der harte Boden wird zur Daunendecke. Er ist ganz klein und weit weg. Irgendwo. Und neben ihm Karen. Sie lächelt. Er spürt ihren Mund. Er hört ihre Worte. Sie hatten sich Tage gestohlen und waren nicht satt geworden. Sie würden es nie sein. Das wissen sie, das ist ihr Glück, ihr Schicksal.
    Die Russen haben erkannt, daß die Dirlewanger ausbrechen wollen, und bepflastern den Fluchtweg mit Granatwerfern. Metallklumpen fliegen Vonwegh um den Kopf.
    »Einzeln springen!« brüllt er, ohne sich umzudrehen.
    Er wuchtet sich als erster hoch. Zick, zack. Drei Schritte. Hinwerfen. Abrollen. Er merkt, wie er das Feuer auf sich zieht. Und er ist ganz da – und weit weg. Bei Karen.
    Sie ist im KZ, denkt er, Karen im KZ. Meine zärtliche, meine zerbrechliche Karen in den Händen grobknochiger, unweiblicher Aufseherinnen; er sieht sie vor sich, des Führers reizlose Vogelscheuchen mit glatten Haaren, flachen Schuhen, platten Brüsten, Mänaden des Systems, vom eigenen Geschlecht verleugnet, überall zu kurz gekommen, so daß dem mickrigsten Totenkopfmann noch im größten Suff vor ihnen graust. Menschliche Neutren, die die Peitsche schwingen, um sich an den anderen zu rächen … Und Karen muß jetzt büßen, daß ihre Wärterinnen nicht ihre blonden Haare, ihr zierliches Gesicht, ihre vollen Lippen haben; weil sie nicht lieben, glauben, hoffen, weinen und lachen können, deshalb müssen sie schlagen, treten, stoßen und quälen.
    Vonwegh preßt die Hand an den Kolben der MP, daß die Knöchel weiß werden wie Totenfinger. Meine Schuld, denkt er, dreht sich um, sucht den B-Soldaten Brillmann, den Bindestrich. Seine Schuld! zucken Vonweghs Nerven.
    Die Partisanen steigern den Feuerüberfall zum Furioso. Der Zugführer taxiert kühl: Wenn sie schnell sind, wenn einer den anderen deckt, kommen fünf oder acht durch. Vielleicht. Oder keiner oder mehr.
    Er sieht Kordt springen, bemerkt, wie der rundliche Müller ihm folgt, sich hinknallt, daß die Nickelbrille im hohen Bogen wegfliegt. Vonwegh selbst bleibt liegen, wartet. Auf Brillmann, verzehrt vom Neid auf eine russische Kugel, die ihm Karens Vetter nehmen könnte …
    Und nun springt er mit ihm. Gleichzeitig. Deckt ihn nach links ab. Mit dem eigenen Körper, wirft sich mit ihm hin, steht wieder auf, riskiert mit jedem Satz das eigene Leben. Für den Bindestrich. So töricht ist Hass, so groß, so tief, so

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