Britannien-Zyklus 03 - Die Herrin von Camelot
Aura der Macht war. Sie holte tief Luft, riss sich zusammen und blickte nochmals hin.
»Ihr seid Haedwig, Oescs Wahrsagerin«, meinte sie schließlich. »Merlin hat mir von Euch erzählt.«
Haedwig lächelte, wodurch sie plötzlich nicht mehr so alt wirkte. »Und ganz Britannien kennt die Herrin vom See.« Ihr Nicken stellte den Gruß einer Priesterin an eine andere dar. »Ich bin froh, dass Ihr gekommen seid.«
Zu Igraines Erleichterung bediente sie sich der britischen Sprache, zwar mit Akzent, aber dennoch deutlich. »Versteht Ihr, weshalb Artor Rigana ausgerechnet hier untergebracht hat?«
Der Blick der weisen Frau wurde ausdruckslos. »Damit sie in Sicherheit war, bis Oescs Schicksal sich erfüllt hatte. Die Runen haben mir verraten, was kommen musste. Ich habe ihn innig geliebt, aber ich wusste, dass sein Leben kurz sein würde. Nun kehrt er zum Land zurück.«
Plötzlich betrachtete Igraine die Frau mit abwägendem Blick. Dass die sächsische Weisfrau Macht besaß, war klar – aber was wusste sie, abgesehen von den Runen, noch?
»Eine Zeit des Friedens naht, in der unsere Völker lernen müssen, miteinander zu leben«, begann sie bedächtig. »Und mir scheint, im Verlauf der Jahre werden diejenigen von uns, die den alten Wegen folgen, Sachsen wie Briten, feststellen, dass wir untereinander mehr gemeinsam haben als mit den Priestern der Christen. Ihr wärt jederzeit willkommen am See, um unsere jungen Priesterinnen zu unterrichten und unsere Geheimnisse kennen zu lernen.«
Haedwig hielt einen Augenblick inne; ihr Blick hatte sich nach innen gekehrt, so als lauschte sie. Dann lachte sie. »Das würde ich gern tun, aber Ihr müsst wissen, wohin ich gehe, dorthin geht auch der Gott, dem ich diene. Er war schon immer nur allzu willens, von Frauen zu lernen, und ich könnte weitergeben, was ich von ihm gelernt habe. Aber vorerst verkörpert Oescs junger Sohn meine Pflicht. Bis Eormenric der weiblichen Obhut entzogen wird, muss ich bei ihm bleiben. Wenn dieser Tag gekommen ist und Ihr immer noch wollt, so werde ich Euch gern aufsuchen.«
»Ich verstehe«, sprach Igraine. »Und Rigana kann sich glücklich schätzen, Euch an ihrer Seite zu haben. Aber vor uns liegt noch eine beschwerliche Reise. Lasst uns an Weisheit teilen, so viel wir können, während wir einander Gesellschaft leisten…«
Die Ernte war eingebracht, und der erste Herbststurm war über den Westen hinweggefegt, hatte das Land gereinigt und den Blättern die ersten leuchtenden Farben eingehaucht. Doch nachdem er vorüber war, schienen die Götter ihre Androhung des Winters zu bereuen, denn der Himmel klarte auf, und die Luft erwärmte sich erneut. Das Tal von Avalon lag verträumt und friedlich da, und die Hügel, die es schützten, ruhten im Schein der Sonne.
Sogar in der Villa, in die Fürst Leodegranus geflüchtet war, um der Hitze von Lindinis zu entrinnen, war die Luft heiß und schal. Gwendivar, in die schlichteste Leinentunika gekleidet, die ihre Mutter ihr gestattete, löste die Hüftschärpe, sodass die Tunika offen an den Broschen hing, die sie an den Schultern zusammenhielten. Dennoch spürte sie, wie Schweißtropfen über ihren Körper perlten. Sogar die Wolle, die sie spann, fühlte sich glitschig zwischen ihren Fingern an. Angewidert befreite sie sich davon und warf die Spindel auf die Bank, die entlang der überdachten Veranda verlief.
Schwester Julia zuckte ob des Lärms zusammen, dann wandte sie die Aufmerksamkeit wieder der Schnur zu, die sie von dem Wollknäuel an ihrem Kunkel auf die Spindel fädelte. Seit beinahe einem Jahr war sie Gwendivars ständige Gefährtin, seit Petronilla, aufgerüttelt durch die Andeutungen in Königin Igraines Brief, von der Insel aus Glas eine Nonne angefordert hatte, die über ihrer Tochter Keuschheit wachen sollte. Mutter Maduret hatte ihnen Julia angeboten, ein Waisenkind aus ehrbarer Familie, das sein endgültiges Gelübde noch nicht abgelegt hatte. Sie war schlicht genug, um Gwendivars Mutter von ihrer Tugend zu überzeugen, und mit achtzehn Jahren jung genug, um von Gwendivar geduldet zu werden.
»Wie hältst du es nur aus, bei diesem Wetter zu spinnen?«, rief sie, legte die Hände auf das Geländer und blickte über die Stoppeln der Heuweide. »Ich wette, selbst die Schafe würden ihr Fell ablegen, wenn sie könnten. Aber du« – sie drehte sich wieder zu Julia um – »wirkst immer so kühl.«
Julia errötete ein wenig, und Gwendivar lachte. Schon früh hatte sie
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