Brixton Hill: Roman (German Edition)
Aber wie würde das aussehen? Wie eine Einladung? Wie Schwäche? Warum war ihr kalt? Vorhin noch hatte sie geschwitzt … vielleicht deshalb?
Er sagte immer noch nichts.
Und jetzt … denken. Wegdenken. Zurück an den Traumort.
Aber es gab ihn nicht mehr.
Sie sah Kimmy, wie sie fiel.
Sie sah Eric, wie er weggebracht wurde.
Sie sah sich, von außen, wie sie auf diesem Bett lag, festgeschnürt und hilflos.
Sie hatte Angst.
Da zerbrach etwas in ihr.
»Bitte«, sagte sie. Die Grenze war überschritten. Egal, wie ruhig und kontrolliert es klingen mochte. Sie bettelte. »Bitte, was soll ich tun? Was willst du?«
Er hatte bekommen, was er wollte. Er löste sich aus dem Schatten und kam etwas näher. Sie konnte noch immer nichts sehen.
»Kann sein, dass ich nicht wirklich nett zu dir war, okay? Aber das ist doch kein Grund, so zu reagieren. Ich meine, wir können über alles reden, nein?«
Und er: lachte. Nicht sehr laut, dafür umso fassungsloser. Er ging um sie herum, trat aus ihrem Gesichtsfeld.
»Reden«, hörte sie ihn sagen. »Gerne.«
Em riss den Kopf hoch und drehte ihn so, dass sie in seine Richtung sehen konnte. Immer noch zu dunkel, aber eins war ihr jetzt klar: Dieser Mann war nicht Alan.
»Scheiße, wer bist du?«
»Du brichst hier ein und fragst, wer ich bin?« Wieder dieses Lachen. »Wahnsinn. Alan hat recht. Du bist echt anders. Er meint natürlich gut -anders. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er damit weit danebenliegt.«
Kannte sie die Stimme? Der Akzent … Südlondon, aber keine ganz schlechte Schule. Nicht eindeutig Mittelklasse, aber auch nicht wirklich stolze Arbeiterklasse.
»Hey, ich hab keine Ahnung was hier …« Und dann fiel es ihr ein. »Jay?« Sein Mitbewohner. »Warum …? Bist du jetzt auch …?« Sie arbeiteten zusammen. Sie hätte es gleich wissen müssen. Jay hatte ihr die Tür geöffnet, als sie Alan zur Rede stellen wollte. Hatte so getan, als wüsste er von nichts. Aber sie wohnten ja zusammen. Sie wussten alles voneinander. Waren Freunde. Komplizen.
»Jay, bind mich los. Ich kapier nicht, was das soll«, sagte sie, immer noch bemüht ruhig.
»Du kapierst nicht, was das soll.«
»Ich suche Alan. Ich muss mit ihm reden. Er hat mir was geschickt, und …«
»Ja, das hat er. Gut zu wissen, dass es angekommen ist«, sagte Jay.
Falls sie noch Zweifel gehabt hatte, was Jay betraf: Jetzt waren sie behoben.
»Wo ist er?«, fragte sie.
Jay lachte. »Das ist nicht dein Ernst?«
»Was? Doch, ich versteh nicht …«
»Alan ist nicht hier«, sagte Jay langsam, als spräche er mit einem Kind.
»Ich sehe, dass er nicht hier ist«, sagte sie genauso langsam und deutlich. »Wir sind in seinem Zimmer, und er ist nicht da.«
»Genau.«
»Richtig.« Sie wurde ungeduldig.
»Und du fragst jetzt, wo er ist.«
»Ja.«
»Soso.« Wieder verließ er ihr Blickfeld. Sie hörte seine langsamen, leichten Schritte. Offenbar ging er im Zimmer auf und ab. »Aber du hast sein Päckchen bekommen.«
Ungeduld und Angst. Keine gute Mischung. Aus ihr entstand nicht selten Panik. »Ja, hab ich. Ich hab nur keine Ahnung, warum er mir das geschickt hat.«
»Hast du es dir nicht angesehen?«
Jetzt lachte sie. Ein kratziges, unwillkürliches Geräusch. Hässlich. »Das Paket wurde kontrolliert gesprengt. Und die Trümmer liegen bei Scotland Yard und werden untersucht.«
»Wo?« Er klang jetzt, als sei sie nicht die Einzige im Raum kurz vor einer Panikattacke.
»Du hast mich gehört.«
»Warum?«
»Weil ich dachte, es wäre vielleicht Sprengstoff?«
»Aber es war kein Sprengstoff! Es war … sein Laptop! Seine Festplatten! Du solltest die Sachen bekommen, nicht die Polizei!«
»Ja, schön. Erst stirbt meine Freundin, dann wird mein Bruder umgebracht, und ich krieg ein komisches Paket. Klar. Warum hab ich mich nicht einfach drüber gefreut? Das nächste Mal denk ich dran. Und jetzt, verdammte Scheiße, mach mich hier los!«
Wenn man laut wird, erwartet man eine Reaktion. Dass zurückgeschrien wird, zum Beispiel. Oder dass der lautstark geäußerten Forderung nachgekommen wird. Jedenfalls soll etwas passieren.
Es geschah nichts. Jay blieb still stehen, und Em hörte ihren Worten nach. Es war, als hingen sie noch in der Luft und würden nur langsam in sich zusammenfallen. Es war entwürdigend, sofern das in ihrer Situation überhaupt noch möglich war.
Erschöpft ließ Em den Kopf auf das übel riechende Kissen sinken. Die Augen machte sie nicht zu, sie wollte nicht, dass ihr etwas
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