Brixton Hill: Roman (German Edition)
etwas. Er würde es erfahren, sobald die ersten Journalisten anriefen. Sie hatten sich von den beiden Zeuginnen den Hergang genau erzählen lassen und waren nun auf der Suche nach der verschwundenen Heldin.
Kapitel 29
E m kehrte nur deshalb in Jays Haus zurück, weil sie nicht wusste, wohin sie sonst gehen sollte. Sie steckte ihre Kleidung in die Waschmaschine und ging duschen. Hätte sie nicht wie üblich Schwarz getragen, wäre sie nicht so unbemerkt durch die Stadt gekommen. So war niemandem aufgefallen, dass Blut an ihr klebte. Em zog sich frische Sachen an und nahm das Handy, das ihr Samir verkauft hatte, um Jono anzurufen.
»Ich bin’s. Ich brauch deine Hilfe.«
»Hallo Mama! Du, ich bin noch bei der Arbeit!«
»Okay. Soll ich später, oder kannst du rausgehen?«
»Warte mal, Mama, ich geh vor die Tür, da ist der Empfang auch besser. Sag mal, wie ist das Wetter in Kapstadt?«
»Alles klar.« Sie wartete, bis Jono ihr grünes Licht gab. »Pass auf. Du musst das nicht tun. Sag, wenn du es nicht tun willst, ja?«
»Was denn?«
»Ich muss mit meinem Onkel reden. Kannst du für mich rausfinden, wo ich ihn unauffällig abpassen könnte, ohne dass lauter Leute dabei sind?«
»Puh«, sagte Jono. »Der ist schon weg.«
»Wo hat er den Termin? Das wird ja wohl der letzte für heute sein.«
»Warte.« Sie hörte, wie Jono herumlief, wahrscheinlich zurück ins Büro zu seinem Computer, um etwas nachzusehen, und dann wieder raus, auf den Flur, ins Treppenhaus, aufs Klo, wo auch immer er sich herumtrieb, um in Ruhe mit ihr reden zu können. »Er ist gleich im Samuel Pepys. Ab acht. Weißt du, wo das ist?«
»Ja. Mit wem?«
»Da stand nur RH , keine Ahnung.«
Robert Hanford. »Ich weiß schon. Danke. Warum bist du eigentlich noch in der Bank? Du bist Praktikant.«
»Ja. Aber der Chefetagenpraktikant, der gerade die Chefsekretärin vertritt, weil die krank ist. Vollkommene Selbstausbeutung, mit einem Schuss Karriereehrgeiz.«
»Die schnelle Internetverbindung, hm?«
»Verdammt. Du hast mich durchschaut.«
»Sind noch viele da?«
»Nö. Nur deine Tante. Soll ich dir noch was raussuchen?«
»Nein. Du hast mir sehr geholfen. Danke, Kleiner.«
»Nenn mich nicht so!«
»Wieso? Ich bin doch deine Mama.« Sie lachte leise und legte auf.
Kapitel 30
F rank Everett verabredete sich gern im Samuel Pepys. Es war kein besonderes Restaurant, aber es lag praktisch in der City of London nahe Blackfriars, zwischen der Millenium Bridge und der Southwark Bridge, und er mochte aus irgendeinem Grund die Pizza und den Blick über die Themse auf das nachgebaute Shakespeare’s Globe Theatre und die Tate Modern. Frank hatte eine Schwäche für Kunst, Theater und Literatur, ohne für irgendetwas ein ausgewiesener Experte zu sein. Er erfreute sich einfach daran. Auch mochte er den Fußweg zwischen dem Samuel Pepys und seinem Haus – etwa eine gemütliche halbe Stunde von der Stew Lane zur Henrietta Street, davon der allergrößte Teil direkt am Nordufer des Flusses entlang, bei jedem Wetter ein spektakulärer Spaziergang. Es gab natürlich noch viele andere Restaurants und Bars auf dem Weg, die ebenfalls einen wunderbaren Blick aufs Wasser boten, aber Frank mochte eben das Samuel Pepys. Er sagte einmal, er bevorzugte es schließlich auch deshalb, weil er den Namenspatron, Samuel Pepys, so spannend fand. Schon als Junge hatte er gern in dessen Tagebüchern gelesen. Pepys, ein im Grund unwichtiger, aber typischer Vertreter des Londoner Bürgertums im 17. Jahrhundert, hatte einst peinlich genau Tagebuch über seinen Alltag geführt. Von politischen Ereignissen bis hin zu seinen Verdauungsstörungen fand sich darin alles, was ihn zum wichtigsten Chronisten der Epoche und seine Tagebücher zur Fundgrube für Historiker machte.
Frank war mit Robert Hanford verabredet, seinem Geschäftspartner in Sachen Braidlux und besten Freund. Em fragte sich, ob ihre Tante Katherine etwas von Braidlux wusste. Patricia war sicherlich nicht eingeweiht. Nebengeschäfte duldete sie nicht, schon gar nicht in diesem Ausmaß. Aber was war mit Katherine? Hatte Frank Geheimnisse vor ihr?
Frank Everett hatte bis zu seiner Heirat mit Katherine Frank Binder geheißen. Anfang der Siebzigerjahre hatte er sich in den Kopf gesetzt, Möbelgestalter zu werden. An der Münchner Fachhochschule war ihm die Erkenntnis gekommen, dass er für den Studiengang nichts taugte. Er ging nach London, lernte schnell Englisch und machte eine Banklehre. In dieser Zeit lernte
Weitere Kostenlose Bücher