Brixton Hill: Roman (German Edition)
er Robert kennen, und sie wurden Freunde. Somit kannte er Robert länger als seine Frau. Vertraute er ihm deshalb mehr als Katherine?
Em dachte schon die ganze Zeit darüber nach, was es zu bedeuten hatte, dass die beiden Anschläge in Braidlux-Gebäuden verübt worden waren. Es konnte Zufall sein. Braidlux baute im Moment so viel wie sonst niemand in London. Ganz sicher ging es bei den Anschlägen aber um sie – wie sonst erklärten sich die anonymen Drohungen und Nachrichten, die sie erhielt? Das einzige Motiv, das jemand haben könnte, sie zu töten, war: Geld.
Patricia war neunzig. Sie war geistig voll auf der Höhe und leitete letztlich immer noch die Geschäfte, allerdings von ihrem Wohnzimmer aus. Durch ihre kaputten Hüften konnte sie kaum noch laufen. Ansonsten ging es ihr gesundheitlich hervorragend, und jeder rechnete damit, dass sie älter würde als die Queen Mum. Es sei denn, man hatte Em gegenüber etwas verschwiegen. Denn wenn Patricia sterben würde, ginge ihr Vermögen zur Hälfte an Katherine. Die andere Hälfte hätte Ruth geerbt, doch Patricia hatte ihre seit fast dreißig Jahren verschwundene, jedoch nie offiziell für tot erklärte Tochter schon lange aus dem Testament gestrichen. Dieser Teil würde also an Ruths Kinder gehen, Eric und Em. Nun war Eric tot, und Em würde die andere Hälfte des Vermögens ihrer Großmutter erben.
Darüber hatte Em bisher noch gar nicht nachgedacht. Ihre Großmutter würde ewig leben, so viel war immer klar gewesen. Ihr Bruder würde sich um die Geschäfte kümmern, auch das war immer klar gewesen. Em wollte gar nichts erben, sie wollte ihr eigenes Geld verdienen. Noch so eine Wahrheit in Ems Kopf, aber die Realität sah wohl anders aus.
Em, Millionenerbin, Halterin von fünfzig Prozent Anteilen einer der größten Privatbanken im Land.
Wenn ihre Großmutter tot war. Erst dann.
War etwa nicht nur sie in Gefahr, sondern auch – und vor allem – Patricia?
Frank hatte Anteile an Braidlux. Die Braidlux-Gebäude waren attackiert worden. Sie selbst hatte in einem dieser Gebäude gewohnt, ohne zu wissen, dass diese Firma dahintersteckte. Und hinter dieser Firma ihr Onkel und sein alter Freund Robert Hanford.
Em nahm das Handy und rief in der Kanzlei ihres Bruders an. Sie arbeiteten dort manchmal bis zehn, elf, Mitternacht. »Alex Hanford bitte«, sagte sie.
»Wer spricht denn?«
Sie dachte sich einen Namen aus.
»Tut mir leid, er ist nicht im Haus. Kann ich etwas ausrichten? Wollen Sie, dass er Sie zurückruft?«
»Danke. Hat sich erledigt.« Em legte auf und dachte nach. Alex’ Handynummer: Sie könnte versuchen, an die Mails ihres Bruders zu kommen und darüber auch in sein Adressbuch. Schwierig. Ihr Bruder hatte sich gern die kompliziertesten Passwörter ausgedacht. Jemand wie Jay könnte so etwas wahrscheinlich knacken. Aber wollte sie das? Konnte sie das überhaupt, auf diese Art in die Privatsphäre ihres Bruders eindringen? Besonders jetzt, wo er tot war? Der Gedanke brachte die Tränen zurück.
Auf ihrem alten Handy hatte sie alle Nummern. Es lag bei Samir, der es für sie in Einzelteile zerlegt hatte und aufbewahrte. Sie nahm ihre Jacke, setzte Mütze und Sonnenbrille auf und ging zu Samirs kleinem Laden.
Diesmal waren alle drei Computerplätze belegt, und an den beiden Tischen drängten sich gut gelaunte Gäste. Samir half gerade einer Frau dabei, Onlinetickets für einen Flug auszudrucken. Em sah, dass es ein Billigflug nach Barcelona war.
»Ich bin noch nie geflogen«, sagte die Frau und strahlte.
»Das ist toll«, sagte Samir. »Fliegen ist toll.«
»Ich bin ganz aufgeregt!«
»Na klar! Wie lange bleibst du?«
»Drei Tage, und wir wissen nicht mal, wo wir schlafen.« Sie kicherte. »Aber der Flug war so billig!«
Samir erklärte ihr, wie sie günstige Zimmer finden konnte, und schrieb ihr ein paar Webadressen auf. Die Frau, eine dürre Blondine um die vierzig, strahlte noch mehr und wäre Samir vermutlich um den Hals gefallen, wenn sich Em nicht bemerkbar gemacht hätte.
»Ich, ähm, brauch noch mal mein Telefon«, sagte sie.
»Du kannst damit geortet werden, sobald du es einschaltest. Und wenn ich die Nachrichten richtig verstanden habe« – er zeigte auf seinen eigenen Laptop – »sucht man immer noch nach dir. Warum brauchst du’s? Funktioniert das andere nicht richtig?«
»Ich brauche eine Nummer.«
»Ist sie auf der Karte oder im Telefon gespeichert?«
Em hob die Schultern.
Samir sah sich im Laden um. »Hör zu, ich
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