Brixton Hill: Roman (German Edition)
will.«
»Ich komme nicht mit.«
»Es sind viele wichtige Leute dort.«
»Und die Queen. Schönen Gruß, wenn du mit ihr sprichst.«
Sie stritten ständig. Sie waren sich einfach zu ähnlich, ohne der gleichen Meinung zu sein. Sie liebten sich.
Am Tag vor der Beerdigung probte Patricia Everett mit ihrer Haushälterin ihren Auftritt. Sie hatte sorgfältig ein schwarzes Kostüm ausgewählt, in dem sie problemlos gehen, stehen und sitzen konnte und das in keiner Situation unvorteilhafte Falten warf oder gar zwickte. Die Schuhe waren die größere Herausforderung, weil Patricias Füße schnell ermüdeten, aber auch da hatten sie eine bequeme und doch elegante Lösung gefunden. Der Hut schließlich war vor allem eine Geschmacksfrage, mit der sich Patricia tagelang herumgeschlagen hatte. Handschuhe waren für sie ein Muss, bei dem sie stilsicher und ohne Zögern entschied, die Handtasche war ebenfalls schnell ausgewählt. Weil niemand sie begleiten wollte, telefonierte sie ein paar ihrer Parteifreunde durch, und es endete damit, dass sie mit einem verwitweten Oberhausmitglied, einem tatterigen Greis, von dem sie nicht glauben wollte, dass er drei Jahre jünger war als sie, zur Beerdigung gehen würde.
Ihre Haushälterin ließ sie ein paarmal auf und ab gehen, sich hinsetzen, zum Gebet erheben, zum Gesang erheben, mehrere Minuten stehen, Handtasche öffnen und schließen (mit und ohne Taschentuch herausnehmen), setzen, aufstehen, gehen, setzen.
Es funktionierte alles ohne Probleme. Ihre Knochen machten mit, ihre Muskeln nach einer Weile auch, und die Glückshormone, die ihren alten Körper durchströmten, gaben ihr die nötige Energie, die sicherlich morgen noch anhalten würde.
Wer konnte schon sagen, wie es Patricia in ein paar Jahren gehen würde. Dann hätte sie vielleicht nicht mehr zur Beerdigung gehen können. Und das wäre doch wirklich ein Jammer gewesen. Wie gut, dass Margaret Thatcher schon jetzt gestorben war.
Kapitel 40
D anke, Mann, dass ich Alans Zimmer haben kann«, sagte Tobs und nickte grimmig. Das besetzte Haus, in dem Tobs eigentlich wohnte, wurde gerade geräumt, und Jay hatte in letzter Minute die Sachen seines Freunds retten können.
Sie gingen durch die endlosen tristen Krankenhausgänge, fuhren zusammen mit einer pakistanischen Großfamilie im Aufzug, ließen die Raucher am Krankenhauseingang hinter sich und machten sich auf den Weg über die Themse zur U-Bahn-Station Westminster.
»Morgen wird hier was los sein …«
»Ich hab gelesen, die Prozession geht bei der St Clement Danes Church los. Falls du zuschauen möchtest.«
»Zum Buhrufen?«
»Zum Beispiel.«
»Überlegen wir uns morgen, oder? Ich fühl mich noch ein bisschen matschig.«
»Doch lieber ein Taxi?«
»Nein. Es geht schon. Ehrlich.«
»Nicht, dass du mir umkippst.«
»Es geht!«
»Gut.«
»Warum geht’s an dieser anderen Kirche los?«
»Die Kirche gehört der Royal Air Force. Es ist aber wohl eher die Lage. Zwischen Westminster und St Paul’s.«
»Was für’n Aufwand. Wir haben so was in Deutschland nicht. Also, nicht so.«
»Ihr Glücklichen.«
»Ach, ich weiß nicht. Manchmal hab ich schon den Eindruck, dass sich viele Deutsche die Monarchie zurückwünschen. Vielleicht nicht zum Regieren, wobei … Na, jedenfalls hätten viele Leute auch gern eine Königin und Prinzen und Prinzessinnen. Musst dir mal deutsche Klatschmagazine anschauen. Sämtliche europäischen Königshäuser rauf und runter. Der Hammer.«
»Thatcher war Premierministerin. Keine Königin.«
»Ja. Aber – als Lady Di gestorben ist, sind sie alle durchgedreht. Und als der Dings, wie heißt er, als der geheiratet hat.«
»Prince William?«
»Genau. Und der andere, der Bruder, in der Naziuniform. Da sind wir immer voll informiert. Weil wir das selbst nicht haben. Total spannend. Ich glaube, die Leute wollen gesagt bekommen, was sie zu denken haben. Auswahl macht sie nervös. Verantwortung macht sie nervös. Demokratie ist nichts für die. Und wir reißen uns hier den Arsch auf, damit sie noch mehr Demokratie bekommen. Wir haben doch echt nen Knall.«
»Den haben wir.«
Jay kaufte Tobs eine Fahrkarte. Sie gingen durch die Drehkreuze, fuhren runter zum Bahnsteig und quetschten sich mit den anderen Fahrgästen in den Zug. Unterwegs sprachen sie nicht viel. Tobs lief beim Umsteigen brav hinter Jay her, und als sie in Brixton angekommen waren, atmete Tobs hörbar auf.
»Diese Stadt erschlägt einen«, sagte er.
»Warst du schon in
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