Brockmann Suzanne
nicht sagen, dass ich diesen Eindruck hatte. Hatte ich nämlich gar nicht.“
P. J. musste lachen. „Puh, dann bin ich ja froh, dass wir das geklärt haben.“
„Es ist nur … ich mutmaße nur. Ich will dich nicht auf eine falsche Fährte lenken.“
„Schon gut. Ich verstehe.“ Als er sie erneut ansah, fühlte sie sich bemüßigt hinzuzufügen: „Wir sind nur Freunde, der Senior Chief und ich.“
Joe Catalanotto lächelte nur.
„Ich kenne Harvard schon beinahe so lange wie Blue“, sagte er, nachdem sie ein ganzes Stück schweigend nebeneinander hergelaufen waren.
„Ja, du hast mir erzählt, dass Blue – Lieutenant McCoy – und du, dass ihr schon die Grundausbildung zusammen absolviert habt. Das stimmt doch, oder?“, fragte P. J. nach.
„Ja, wir waren Schwimmkumpel.“
Schwimmkumpel. Das bedeutete, dass Joe Cat und Blue zusammen durch die ebenso quälende wie qualvolle Ausbildung zum Navy SEAL gegangen waren. Nach allem, was P. J. darüber gehört hatte, schweißte das enger zusammen als alles andere. Schwimmkumpel waren mehr als Blutsbrüder.
Sie verließen sich blind auf die Stärken des anderen und glichen gegenseitig Schwächen aus, um das harte Training zu überstehen. Kein Wunder, dass Blue und Joe Cat mit einem einzigen Blick einander etwas kommunizieren konnten, wofür andere viele Worte benötigten.
„Harvard war damals auch in unserem Jahrgang“, erzählte ihr Joe. „Er war sogar Teil unserer Crew während der Höllenwoche. Ein entscheidender Teil.“
Merkwürdig. Sie sprachen schon wieder über Harvard. Nicht, dass es P. J. störte.
„Wer war sein Schwimmkumpel?“
„Der quittierte den Dienst, kurz bevor wir unser Boot an den Klippen von Coronado landen sollten.“
„Euer Boot?“
„Ja, ein kleines Schlauchboot.“ Joe lächelte. „Aber klein ist relativ. Diese Boote wiegen weit über hundert Kilo und fassen sieben Männer. Während der Höllenwoche schleppt jedes Team sein Boot überall mit hin.“ Er runzelte die Stirn. „Wenn man in Coronado an der Reihe ist, fragt man sich ernsthaft, wie zum Geier man sicher an Land gehen und gleichzeitig das Boot heil bleiben soll. Die Brandung dort ist stark und die Küste eine einzige zerklüftete Felslandschaft.“
Er hielt einen Moment inne, bevor er schließlich fortfuhr: „Und dann hat der dienstälteste Offizier in unserer Crew – Harvards Schwimmkumpel – einen Blick auf die Felsen geworfen und ist ausgestiegen. Aber wir haben es auch ohne ihn geschafft. Wir einfache Soldaten haben bis zum Ende durchgehalten.“
Einfache Soldaten? „Blue und du habt also auch nicht als Offiziere begonnen?“
Joe steigerte das Tempo. „Nein. Wir haben uns sozusagen vom Postraum hochgearbeitet.“
„Warum hat Harvard nicht den gleichen Weg eingeschlagen?“ Sie setzte rasch hinzu: „Ich bin nur neugierig.“
Der Captain nickte, konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen. „Er wollte einfach kein Offizier werden. Ich meine, er wollte partout keiner werden. Die Officer Candidate School, eine Art Offiziersakademie, versuchte immer wieder, ihn anzuwerben – so oft, dass es irgendwann schon fast ein Witz war. Schon während der Ausbildung hatte man ihn mit einem Lieutenant zusammengesteckt. Wahrscheinlich wollte man ihm deutlich machen, dass er ebenfalls das Zeug zum Offizier hatte.“
„Und dann ist sein Schwimmkumpel ausgestiegen.“
„Genau. Das hat Harvard schwer getroffen. Er dachte wohl, er hätte Matt – so hieß er – davon abbringen können aufzugeben. Dabei wussten wir anderen ganz genau, dass er alles getan hatte, was er konnte. Harvard hatte ihn von Anfang an mitgezogen. Wenn er nicht gewesen wäre, wäre Matt schon viel früher abgesprungen.“
„Klingt so, als hätte Harvard schon damals großen Teamgeist besessen“, stellte P. J. fest. Ihr T-Shirt war inzwischen nass geschwitzt, und ihre Beine und Lungenflügel begannen zu brennen. Der Captain zeigte jedoch noch keinerlei Ermüdungserscheinungen.
„Das war er auch.“ Joe war nicht ein bisschen außer Atem. „Es war schwer für ihn. Er hatte das Gefühl, Matt im Stich gelassen zu haben. Dabei war es eigentlich genau andersrum. Matt hatte von Anfang an ihn im Stich gelassen. Schwimmkumpel ergänzen sich gegenseitig, gleichen die Schwächen des anderen aus. Es funktioniert einfach nicht, wenn einer von beiden nur gibt und der andere nur nimmt. Um ehrlich zu sein: Während Harvard Matts Ausscheiden damals als persönliche Niederlage empfunden hat, sahen wir
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