Broken (German Edition)
Juliabend.
«Ich will dir helfen», sagte ich. «Hör mal, ich war ziemlich sauer wegen White Trash. Und ich war in Sorge, Miki. Ich wusste nicht, was passiert war. Ich konnte dich nicht erreichen.»
Miki nickte, das Gesicht bleich.
«Können wir über das reden, was heute mit deinem Handy passiert ist?»
«Ich bin zum Supermarkt. Ich hatte mein Handy in der Tasche von der kleinen Boyfriend-Jacke. Ich weiß, dass ich es dabeihatte. Ich hab es in der Tasche gespürt, als ich den Supermarkt betrat. Als ich zurück in deine Wohnung kam, war es einfach weg.»
«Bist du mit deinem Spitfire zum Einkaufen gefahren?»
«Natürlich», sagte Miki. «Ach du Scheiße. Mein Auto. Ich muss es morgen abholen.»
«Nein», sagte ich. «Lass es in der Tiefgarage vom Hotel. Oldtimer sind zu auffällig.»
Miki trank einen Schluck von ihrem Grog und fröstelte. «Glaubst du, er hat noch was anderes vor?»
«Die Vermutung liegt nahe.» Mein Handy piepste. Ich sah Rausers Namen mit einer Mitteilung. Er hatte ein Phantombild von dem Mann geschickt, den der ehrenamtliche Fahrer gesehen hatte. Die Polizei hatte die altmodischen Phantombildzeichnungen inzwischen durch Computerbilder ersetzt. Software ermöglichte es einem Zeugen, gemütlich bei einem Kriminaltechniker zu sitzen, Kopfformen und Gesichtsmerkmale auszuwählen und anzugleichen. Das fertige Bild ermöglichte auch den schnellen Zugriff auf Gesichtserkennungssysteme und den automatischen Abgleich mit Datenbanken. Ich öffnete den Anhang. Viel war es nicht – Kopf, Schultern, Haaransatz, keinerlei Gesichtszüge außer Augenbrauen und Nasenform. Der Fahrer hatte offenbar im Vorbeigehen nur für den Bruchteil einer Sekunde das Profil gesehen. Ich schob mein Handy über den Tisch. «Kommt dir der bekannt vor?»
Miki nahm das Telefon und lehnte sich ruckartig zurück. «Das soll er sein? Irgend so ein gesichtsloses Monster? Der Fremde im Zimmer, der nach mir grapscht …»
Mikis Neigung, sich ihrer Düsternis ausgiebig und öffentlich hinzugeben, brachte mich immer ein bisschen aus der Fassung. Emily Street hatte uns eingetrichtert, uns nichts anmerken zu lassen, wenn irgendetwas nicht stimmte. Und darüber reden kam erst recht nicht in Frage. In der Welt meiner Mutter ist so etwas schmutzige Wäsche.
«Er will es zerstören», sagte Miki.
«Was zerstören?», fragte ich.
«Alles. Mein Haus, weil ich es liebe. Mein Leben, weil es jetzt gut ist.» Tränen quollen aus einem ihrer blauen Augen, dann aus dem anderen. Miki wischte sie hastig weg. Aber so hellhäutig, wie sie war, rötete jede Emotion im Nu ihren Buttermilchteint. Sie blickte mich mit roten Augen und roter Nase an, und mir fiel eine Situation aus unserer Kindheit ein, als ich sie einmal am Ufer des kleinen Baches hinter dem Park hatte sitzen sehen, die Arme um die Knie geschlungen. Da hatte sie genauso zu mir hochgeschaut, und mir war sofort klar gewesen, dass sie geweint hatte. Ich musste an den erdrosselten Jungen und seine schluchzende Mutter denken. Nicht zum ersten Mal. Irgendwas daran nagte an mir, genauso wie an Rauser. Und keiner von uns konnte sagen, was es war.
«Dieser Typ ist kein unzerstörbares Phantom aus deinen Albträumen, Miki. Er ist nicht der schwarze Mann. Er ist ein ganz normaler Verbrecher. Gib ihm nicht noch mehr Macht über dein Leben. Das Essen mit Freunden am Donnerstagabend, nach dem du ihn dann in deinem Wohnzimmer gesehen hast, war das schon länger geplant gewesen?»
Miki schüttelte den Kopf. «Spontan.»
«Erinnerst du dich, wo du warst, als du dich entschieden hast hinzufahren?»
«Zu Hause.»
«Und als du im Restaurant warst? Ist dir da irgendwas komisch vorgekommen? Du hast gesagt, du hättest dich im Fitnessstudio beobachtet gefühlt. Sonst noch irgendwo?»
«Nein. Tut mir leid.» Sie gähnte. Mutters Zaubertrank zeigte Wirkung.
«Du hast eine Stiftlampe an deinem Schlüsselbund. Die hast du an dem Abend benutzt, nicht?»
Miki überlegte kurz. «Ja, stimmt. Ich hab ein Geräusch gehört, als ich den Schlüssel ins Schloss stecken wollte. Von den Holzdielen im Wohnzimmer, das Geräusch hab ich wiedererkannt. Ich hab mich erschreckt. Ich bin ganz leise über die Veranda und hab durchs Fenster geleuchtet. Ich hab die Couch gesehen und so Kram, den ich auf dem Tisch hatte liegen lassen, und dann war das Licht plötzlich weg, und ich hab gesehen, dass sich jemand davorgestellt hatte.»
«Woher wusstest du, dass es ein Mann war? Was hast du gesehen?»
«Ich weiß nicht.
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