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Brombeersommer: Roman (German Edition)

Brombeersommer: Roman (German Edition)

Titel: Brombeersommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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Fahrkarten, und als sie im Zug einander gegenübersaßen und aus dem Fenster schauten, hatte der Regen aufgehört.
    »Na also«, sagte Karl. »Packen wir doch gleich mal das Essen aus. Wenn wir früher mit der Familie unterwegs waren, schnitt mein Vater mit dem Taschenmesser alle Brote, die meine Mutter geschmiert hatte, in möglichst gleichgroße Streifen. Alle wollten die Mittelstücke mit wenig Rinde, aber die Mitte kriegte immer Elisabeth.«
    Viola breitete ein Küchenhandtuch über ihre Knie, holte die hart gekochten Eier und die Käsebrote aus dem Rucksack und schnitt für Karl die Mitte einer Stulle aus. »Da«, sagte sie. »Ist aber Schweizer Käse. Wenn du Pech hast, ist in deinem Mittelstück das Loch.«
    Sie fuhren Richtung Süden. In Frankfurt mussten sie umsteigen. Erwischten gerade noch den Zug nach Würzburg. Ein freundlicher Schaffner, den Fuß schon auf dem Trittbrett, ließ sie noch zusteigen, pfiff und zeigte dem Lokführer die grüne Kelle.
    Sie liefen durch den Gang und fanden kein leeres Abteil.»Nö, Karl, nicht hier. Die Oma sieht so streng aus.« Karl seinerseits wollte nicht bei der Mutter mit den drei kleinen Kindern sitzen, Viola nicht bei den Zigarre rauchenden Männern mit Tirolerhut.
    »Dann müssen wir in den anderen Waggon. Lass mich mal vor«, sagte Karl, »und halt dich an mir fest.«
    Das Verbindungsstück zwischen den beiden Wagen schwankte quietschend hin und her. Unter ihnen sausten Schienen und Bohlen vorbei. »Ist doch ganz gemütlich hier«, rief Viola, und schon flog sie nach links und gleich wieder nach rechts. Karl schob die zweite Verbindungstür mit der Rechten auf und zog Viola mit der Linken nach. Er drehte sich zu ihr um, da bremste der Zug, sie flog an seine Brust. »If my heart could only talk«, sang Billie Holiday in Karls Kopf, sein Herz klopfte, und Viola, die sich an ihm festklammerte, machte keine Anstalten, sich wieder von ihm zu lösen. Er holte tief Luft, dachte an Theo, gab sich einen Ruck und schob sie sanft von sich. »Ich bin nicht aus Stein«, flüsterte er. »Und betrunken sind wir auch nicht.«
    Viola aber warf ihm nur einen ihrer unergründlichen Blicke zu.
    Schon in Aschaffenburg schien die Sonne.
    Der Zug fuhr gemächlich durch das Maintal, die sanften Kuppen des Spessarts leuchteten im ersten berstenden Frühlingsgrün.
    Viola hielt es nicht im Abteil. »Du, Karl, man könnte fast meinen, wir fahren in die Ferien!« Sie stand auf dem Gang und breitete die Arme aus, als wolle sie in die liebliche Landschaft hinausfliegen. »Himmelherrgott, ist das schön!«, rief sie.
    »Ja«, lachte Karl, »sag ich doch.« Er holte seine Kamera aus dem Rucksack.
    Sie standen nebeneinander und sahen durch die schmutzige Scheibe in die Frühlingswelt. »Hier war ich noch nie!«, rief Viola. Karl konnte die Augen nicht von ihr lassen und fühlte sich so unbeschwert wie in Tagen, die weit zurücklagen.
    »Die Scheibe ist dreckig!« Selbst das schien Viola ein Beweis dafür, dass sie wirklich und wahrhaftig in die Ferien fuhren. »Non sporgersi«, las Karl vor. »Do not lean out.« Und sofort machte Viola das Zugfenster auf und lehnte sich hinaus. Der Fahrtwind wirbelte die Silben ins Nichts. »Was sagst du?«, schrie sie, ohne den Kopf zu wenden. Das Rattern des Zuges erschütterte den schmalen Gang und drückte auf Karls Ohren. »Du gefällst mir«, antwortete er leise und lehnte sich lächelnd zurück gegen die Abteiltür. »Ne pas se pencher au dehors.« Viola hörte ihn sowieso nicht, halb draußen im Löwenzahngelb der vorbeifliegenden Landschaft.
    »Nicht hinauslehnen.« So stand es in vier Sprachen auf dem elfenbeinfarbenen Bakelitschildchen, das am Fensterrahmen angenagelt war. Aber genau das tat Viola immer.
    Ein paar Minuten später fuhr der Zug in Würzburg ein. Auf dem Bahnsteig stand Theo und winkte mit beiden Armen.
    In Würzburg blieben sie nur bis zum nächsten Mittag. Am Abend entdeckten sie zu Theos Begeisterung ein Restaurant mit Namen Capri, das »italienische Spezialitäten« anpries. Theo betrachtete sich wegen seiner Kriegsgefangenschaft in Italien als Kenner. »Würzburg ist unsererHeimatstadt weit voraus«, meinte er anerkennend und marschierte schnurstracks hinein. »Ihr werdet sehen, das Essen schmeckt euch.«
    »In Italien scheint immer die Sonne«, sagte Viola schwärmerisch und befühlte die künstlichen Weintrauben. »Theo, Karl, findet ihr nicht, wir sollten nach Italien fahren? Wo ich doch dreißig werde dieses Jahr! Ich finde, wir

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