Brombeersommer: Roman (German Edition)
Entspannungspolitik würde ihn von Amerika unabhängiger machen, dann könnte er wieder eine stärker auf England zentrierte Großmachtpolitik betreiben. Du bist einfach blauäugig. Die Amerikaner sehen das schon realistisch: Mao Tse Tung hat das riesige China kommunistisch gemacht, das kommunistische Nordkorea hat Südkorea angegriffen, die Russen haben in der Nuklearentwicklung aufgeholt, die werden bald Atomwaffen haben, und sie dehnen ihren Einflussbereich in Mitteleuropa aus. Mehr Gefahr geht nicht! Und Stalin über den Weg zu trauen wäre Dummheit, sonst nichts.«
Viola hatte sich in die Küche verdrückt. Sie war keine große Zeitungsleserin, neigte gefühlsmäßig Karls Position zu, wusste aber, dass sich Theo politisch genau informierte. Sie hatte nicht zum ersten Mal den Verdacht, dass Theo eines Tages in die Politik einsteigen würde, für die CDU versteht sich. Theo hielt Adenauer für einen genialen Realpolitiker.
»Deutschland braucht jetzt eine nüchterne Realpolitik ohne idealistischen Schmus«, sagte er denn auch. »Wir müssen uns einfügen in ein demokratisches westliches System, das uns Sicherheit und Stabilität gibt.«
»Du bist doch genauso blauäugig, du denkst einseitig«, hörte sie Karl aufgebracht ausrufen. »Die Amerikaner betreiben doch dieselbe eigensüchtige Politik, wie du sie Churchill unterstellst.«
»Und Frankreich?«, fragte Theo zurück. »Glaubst du im Ernst, dass Frankreich ein wiedervereinigtes Deutschland will? Die Franzosen fürchten auch ein neutrales Deutschland – nämlich wirtschaftlich gesehen. Die Amerikaner und Engländer brauchen aber die deutsch-französische Aussöhnung, um Konfliktrisiken im westlichen Teil Europas zu minimieren. Nein, es gibt keinen anderen Weg. Darum sind wir auch letztes Jahr der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft beigetreten. Wir müssen in Europa wirtschaftlich stärker zusammenarbeiten.«
Theo sprach schon in der Wir-Form, als habe er den Vertrag mitunterzeichnet. »Stalin ist tot«, sagte Karl unbeirrt. »Das könnte die sowjetische Politik geneigter für eine Entspannung machen. Die Sowjets haben bei sich doch weiß Gott genug Feuer unter dem Dach. Entspannung in der Außenpolitik könnte ihnen sehr gelegen kommen. Eine neutrale Pufferzone im Zentrum Europas könnte die Situation zwischen den Blöcken beruhigen. Die Sowjetunion ist durch den Krieg völlig ausgeblutet, sie braucht Zeit und Kraft für die Entwicklung im Innern. Und ich begreife dich einfach nicht: Wir dürfen nach allem, was geschehen ist, nicht wieder zu den Waffen gehen! Die Amerikaner haben nur Angst vor dem sowjetischen Vorschlag. Ich bin sicher, die Frage nach der Neutralität würde bei einer Abstimmung eine Mehrheit finden, hier wie drüben. Und das wollen sie verhindern, darum treiben sie die Integrationspolitik so voran!«
Theo und Karl sahen sich böse an.
»Die Westmächte wollen nur eine Wiedervereinigung nach ihren Vorgaben und nach westlichem Muster«, meinteKarl schließlich, müde vom Streit. »Können wir uns auf diese Aussage einigen?«
»Können wir«, brummte Theo.
»Und ob wir das gut oder schlecht finden, behalten wir jetzt schön für uns, einverstanden?«
»Du bist einfach immer auf Harmonie aus, was?«, grinste Theo und holte zwei Cognacschwenker aus dem Schrank.
»Ganz recht«, antwortete Karl. »Ich bin eben ein Pazifist.«
47
Theo wienerte das Auto. Karl besorgte Filme für die Kamera. Viola kaufte einen Bikini. Sie fuhren in die Sommerferien. In den Süden. In ein neues Land. Am Sonntag, den 28. Juni sollte es losgehen.
»Wir fahren um sieben«, sagte Viola.
»Auf keinen Fall«, protestierte Theo, »vor zehn bin ich nicht so weit.«
Viola verdrehte die Augen. »Mensch, Theo …«
»Dann bin ich genau um halb neun abfahrbereit«, sagte Karl gelassen.
Am nächsten Tag um neun hupte es laut und anhaltend. Karl streckte den Kopf aus dem Mansardenfenster. Unten stand Viola. Sie trug schmale blaue Nietenhosen und sah aus wie ein Junge.
»Ich komme!«, rief Karl.
Der Kofferraum war kleiner, als gedacht. Theo hatte bis ins Kleinste ausgeklügelt, was er wo verstauen wollte, war aber an der Menge des Gepäcks, die Viola für unumgänglich hielt, gescheitert.
»Ich hoffe, du hast kein Gepäck«, murrte er, als Karl herunterkam, und warf einen schlecht gelaunten Blick auf Karls kleinen Koffer. »Der geht nicht rein.« Er war persönlich beleidigt, dass seine Berechnungen nicht aufgegangen waren. »Entweder du oder
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