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Brombeersommer: Roman (German Edition)

Brombeersommer: Roman (German Edition)

Titel: Brombeersommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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sich auflöste.
    Theo drängte zur Weiterfahrt.
    Altdorf, Erstfeld, Amsteg, Wassen. Göschenen. Und dann ging es erst richtig los. Sie wurden still. Mühsam kämpfte sich der Käfer den Pass aufwärts. Die Spitzkehren begannen.
    »Da bereitet einen ja nichts drauf vor, wenn man vom südlichen Rand des Ruhrgebiets kommt.« Theo schnaufte leicht. »Violetta macht das toll«, erklärte er, »aber ich kann hier nicht über eine gewisse Geschwindigkeit.«
    »Ganz klar«, sagte Karl beruhigend.
    Die Passstraße war gepflastert, in Abständen waren Granitpoller auf der Seite zum Abgrund hin eingelassen. Was im Tal Regen gewesen war, war hier in den Bergen als Schnee niedergegangen. Die Straße war aber frei. Theo machte die Heizung an. Ein Geruch nach verbranntem Staub erfüllte den Käfer.
    »Puh, das ist bullig warm«, machte Karl.
    »Es geht nur so oder kalt«, sagte Theo.
    »Dann lieber kalt, oder, Viola?«, meinte Karl und drehte sich zu ihr um.
    »Mir ist schlecht«, sagte sie kläglich.
    »Du, Theo, halt mal an. Viola sieht ganz grün aus«, sagte Karl. »Die muss mal raus an die frische Luft. Nachher«, erdrehte sich wieder zu ihr um, »setzt du dich nach vorn. Vielleicht geht es dann besser.«
    »Du Trottel, hier kann ich nicht halten«, schrie Theo aufgebracht.
    »Ja-a«, besänftigte Karl, »wenn du halten kannst, natürlich.«
    »Ich weiß nicht, wann und wo man hier halten kann«, schrie Theo wieder.
    Viola presste sich das weiße Taschentuch, das Karl nach hinten gereicht hatte, ins Gesicht. Der schwache Geruch nach Karls After Shave beruhigte sie. Sie schnüffelte an dem Taschentuch, und das Würgen im Hals hörte für einen Moment auf.
    In Andermatt konnte Theo anhalten. Viola krabbelte aus dem Käfer, eilte zum Straßenrand und wartete auf eine Eruption des Magens, aber nichts geschah. Sie stand, starrte auf die Berge, die unbeteiligt vor ihr aufragten, und atmete vorsichtig durch.
    Theo prüfte den Ölstand und öffnete die Motorklappe, als müsse auch Violetta frische Luft schnappen. »Schweinekalt hier oben«, rief er, als er die Klappe wieder schloss. Er hatte nichts Auffälliges am Motor festgestellt und strich mit der flachen Hand über den hellblauen Lack. »Läuft wie eine Eins, das Mädchen. Wollen wir weiter?«
    Endlich erreichten sie das Gotthard-Hospiz, und der Himmel klarte plötzlich auf. Einige Wagen standen vor dem Gebäude, aber Theo wollte keinen Kaffee in der Gaststube trinken, er wollte nichts wie hinunter von dem Pass.
    Karl saß hinten und konzentrierte sich auf Violas Nacken.Noch nie hatte er ihn so lange ungestört betrachten können. Der flaumige Haaransatz, die seidenfeinen, fast farblosen Härchen rührten und erregten ihn. Er lehnte sich vor, sagte irgendwas, wollte, dass sein Atem Violas Hals streifte und die Härchen bewegte. Er lehnte sich wieder zurück, berührte, als er die Hand von der Vorderlehne nahm, Violas oberen Halswirbel, der sich unter der Haut abzeichnete. Viola sog Luft durch die Nase und sagte: »Es geht mir besser hier vorn.«
    Karl überkam eine sonderbare Mattigkeit, ein Gefühl seliger Erschöpfung, über das sich wie eine verfilzte, schmutzige Decke die Übelkeit legte. Karl stellte sich vor, die Übelkeit verbinde ihn mit Viola und sei zugleich die gerechte Strafe für seine Fantasien.
    Sie erreichten Airolo und waren auf der südlichen Seite der Alpen. Die Sonne wärmte das Autodach, der Himmel war blank gefegt, die Häuser glichen schon bald italienischen Palazzi. Auch die Kirchen in den hoch oben gelegenen Dörfern veränderten sich, die Türme waren alt und schlicht, aus Granit gefügt. Theo, der sich langsam entspannte, als er sah, dass die Straße überschaubarer wurde, hielt einen von Karl und Viola wenig beachteten Vortrag über den italienischen Baustil. Wasserfälle stürzten links und rechts über die Felsen, wie im Norden, und kurz darauf entlockten die ersten Palmen Viola einen Aufschrei und ließen Karl seine Übelkeit vergessen.
    Als die drei Burgen von Bellinzona auftauchten, fuhr Theo bei der nächsten vertretbaren Gelegenheit an den Straßenrand, stellte den Motor ab und stieg aus. Karl machte endlich ein Foto.
    Theo und Viola stehen vor dem Panorama von Bellinzona. Theo setzt sich gerade die Sonnenbrille auf, die Hemdsärmel hat er hochgekrempelt, die andere Hand baumelt   – ach so selbstverständlich, dachte Karl   – über Violas schmaler Schulter. Viola blinzelt mit zugekniffenen Augen ins Licht, winkt in die Kamera und dreht den

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