Brombeersommer: Roman (German Edition)
rechten Fuß nach innen wie ein Kind. Neben Theo und Viola sieht man die hellblaue Wölbung des Käfers. Aber der Himmel ist blauer. Und in der Ferne, über der Stadt Bellinzona mit ihren tre castelli, liegt sommerlicher Dunst.
Die Zukunft ist verborgen, dachte Karl, von einem Schleier, den er Gott sei Dank nicht heben konnte.
Vor ihnen öffnete sich weit die Magadino-Ebene. Ruhig floss der Ticino dem Langensee zu. Noch heute würden sie das Land, wo die Zitronen blühn, sehen. Aber Theo war müde. Auch die beiden anderen wurden still.
»Das hast du wunderbar gemacht, Theo«, sagte Karl, »du hast uns in eine zauberhafte Welt gebracht.« Während Karl das sagte, merkte er, dass er damit ein Land meinte, das Viola und er in den letzten Stunden betreten hatten. Er wusste nicht, warum es so war, aber er wusste, zwischen Viola und ihm hatte etwas anderes, Neues begonnen. In der Ferne ließ noch immer der sommerliche Dunst den Horizont in rostigen Rosatönen verschwimmen, über ihnen wölbte sich klares Blau.
»Der südliche Himmel«, flüsterte Viola. »Schaut euch diesen südlichen Himmel an. Und den schönsten aller Seen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es etwas so Schönes geben kann.«
Sie waren am Lago Maggiore.
48
Zimmer hatten sie nicht im Voraus gebucht. Viola hatte auf eine Abenteuerreise bestanden. Und noch war es hell.
Sie tranken Kaffee in Locarno, enttäuscht von den winzigen Tassen. Ein Puppenstubenkaffee war das, ein Witz, aber ihr Herz begann zu rasen, so bitter war der Kaffee, so stark. Der Kellner bemerkte ihre Gesichter und schob ihnen noch einmal den Zuckertopf zu. Jetzt wurde ein bittersüßer Likör daraus, der die ganze Welt süß und träge werden ließ. Theo schüttelte sich und blühte trotz seiner Erschöpfung auf, Viola leckte sich die Lippen. War das gut? Oder abscheulich? Und Karl fand verbotene Gedanken im geschmolzenen, dunkel durchtränkten Zucker auf dem Boden der Tasse. Er löffelte den Zucker aus bis auf den letzten Rest, aber die Gedanken an Violas vom Kaffee süß verklebte Lippen wuchsen immer wieder nach.
Eigentlich wäre es gut gewesen, in Locarno zu bleiben, es konnte ja nicht schöner werden. Aber Viola wollte doch nach Italien, und Theo und Karl hatten es ihr versprochen. Nach Italien mussten sie. Aber es musste ja nicht heute sein.
»Im nächsten Ort bleiben wir, wenn es uns da gefällt«, sagte Viola, des Schauens müde.
Und ob es ihnen da gefiel. In einer sonnigen Bucht, ganz dem Süden des Sees und Italien zugewandt, Locarno unddie Alpen im Rücken, lag still und schläfrig das Städtchen Ascona in der Nachmittagssonne. An der Seepromenade waren ein paar buntgestreifte Sonnenschirme aufgestellt, auf dem Wasser lagen leise schaukelnd vier, fünf Boote. Nein, sie wollten keinen Schritt mehr weiter. Hier blieb der Käfer stehen.
Theo kratzte italienische Wörter im Kopf zusammen. »Gut, dass ihr mich habt«, murmelte er vor sich hin und betrat entschlossen einen kleinen Obst- und Gemüseladen.
»Buona sera«, sagte er, »cerchiamo due camere. Una pensione …«
Aber die Tessinerin verstand nicht und legte die Hand ans Ohr: »Come?« Als Theo die Frage wiederholte, nickte sie und rief ihren Mann herbei. Die beiden berieten sich, redeten lebhaft, dann nickte der Mann und machte den dreien ein Zeichen, ihm zu folgen. Er führte sie durch enge, gepflasterte Gässchen, merkwürdig hallten ihre Schritte nach, an blühenden und duftenden Hausgärten vorbei zu einem in sanftem Ockerton gestrichenen Haus, um dessen Balkon sich Glyzinien rankten. »Questa è la casa del mio fratello«, erklärte der Mann und drückte die Messingklingel. »Ci sono due camere …«
Ein Fenster öffnete sich. Das musste der Bruder sein. Die beiden Männer verhandelten ein bisschen, der Kopf oben verschwand. Der Mann trat vors Haus, gab jedem die Hand und führte sie eine steile Steintreppe hinauf in den zweiten Stock. Er öffnete die Türen zu zwei nebeneinanderliegenden Zimmern. Durch die hölzernen Läden fiel in Streifen das Sonnenlicht auf den Boden und die einfachen Bettgestelle.
»Ja«, sagten sie, »wir bleiben.«
Der Mann öffnete die Fenster und die Läden. Warmer Blumenduft aus dem Garten drang herein.
»Il bagno?«, fragte Theo besorgt. Doch, es gab auch ein Bad auf dem Flur. Theo prüfte, ob der Schlüssel auch schloss. Er schaute die anderen an. Die strahlten, und er nickte: »Va bene.«
Am Abend wollten sie essen gehen. Die Frau des Hauses stammte aus Airolo
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