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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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dass kein Wechselgeld herausgegeben werden würde.
    Miss Bartocci und zwei Büroangestellte standen an den Türen, die von zehn Uhr an, als der Andrang überhandnahm, geschlossen bleiben mussten. Die Leute, die normalerweise an der Hauptkasse arbeiteten, trugen besondere Uniformen und arbeiteten gleichfalls im Verkaufsraum. Ein paar standen draußen und achteten darauf, dass die Leute ordentlich anstanden. Eine solche Hitze und Geschäftigkeit wie in dem Geschäft, dachte Eilis, hatte sie noch nirgendwo erlebt. Mr. Bartocci ging durch das Gedränge, sammelte die Geldbeutel ein und leerte sie in einen riesigen Leinwandsack, den er bei sich trug.
    Am Vormittag ging es hektisch zu; sie kam nicht einen Moment lang dazu, sich in Ruhe umzuschauen. Alle redeten laut durcheinander, und hin und wieder fiel ihr ein Spätnachmittag im Oktober ein, als sie mit ihrer Mutter in Enniscorthy die Promenade entlanggegangen war, der Fluss Slaney glasklar und angeschwollenund die Luft erfüllt vom Geruch von brennendem Laub, während das Tageslicht langsam und sanft dahinschwand. Diese Szene kam ihr immer wieder in den Sinn, während sie den Geldbeutel mit Banknoten und Münzen füllte und alle möglichen Frauen sie ansprachen und fragten, wo bestimmte Kleidungsstücke zu finden seien oder ob sie das, was sie gekauft hatten, umtauschen könnten, oder schlicht das, was sie in der Hand hielten, bezahlen wollten.
    Obwohl Miss Fortini nicht besonders groß war, schien sie über alles den Überblick zu behalten, beantwortete Fragen, hob Dinge auf, die auf den Fußboden gefallen waren, räumte andere an ihren Platz oder stapelte sie. Der Vormittag war schnell vergangen, aber je weiter der Nachmittag vorrückte, desto häufiger ertappte sich Eilis dabei, dass sie nach der Uhr sah, bis sie nach einer Weile feststellte, dass sie inzwischen alle fünf Minuten schaute, während sie, wie ihr vorkam, Hunderte von Kundinnen bediente und die Nylonbestände langsam abnahmen. Schließlich hielt Miss Fortini es für angebracht, sie aufzufordern, das, was sie selbst haben wollte, nur vier Artikel, jetzt nach unten zu tragen. Bezahlen könne sie sie später.
    Sie suchte ein Paar Nylonstrümpfe für sich selbst aus, dann eines, von dem sie annahm, dass es Mrs. Kehoe passen könnte, und dann je eines für ihre Mutter und für Rose. Nachdem sie alles in ihrem Spind eingeschlossen hatte, setzte sie sich zu einer Kollegin, trank ein Soda und öffnete dann ein zweites und trank ein paar Schlucke, bis sie das Gefühl hatte, Miss Fortini würde ihre Abwesenheit bemerken. Dann ging sie wieder nach oben und stellte fest, dass es erst drei Uhr war und manche der Nylonartikel, die knapp geworden waren, unter der Aufsicht von Mr. Bartocci von Männern aufgefüllt wurden, die sie fast wie Abfall auf die Verkaufstische kippten. Später, während des Abendessens in Mrs. Kehoes Pension, erfuhr sie, dass Patty und Sheila von dem Ausverkauf gehört hatten und während ihrer Mittagspause hingehetztwaren, um ein paar Artikel zu kaufen, und wieder hinausgerannt waren, so dass sie keine Zeit gehabt hatten, in dem ganzen Gewühl nach ihr zu suchen und hallo zu sagen.
    Mrs. Kehoe schien sich über die Strümpfe zu freuen und bot an, sie zu bezahlen, aber Eilis sagte, sie seien ein Geschenk. An dem Abend redeten sie alle über Bartoccis berühmten Nylon-Ausverkauf, der immer ohne jede Vorankündigung durchgeführt wurde, doch sie waren verblüfft, als Eilis ihnen erklärte, selbst sie, die dort arbeitete, habe bis zu dem Morgen nichts von dem Ausverkauf gewusst.
    »Also, wenn Sie je etwas hören, auch nur ein Gerücht«, sagte Diana, »müssen Sie uns das sagen. Und die Nylonstrümpfe sind die besten, die bekommen nicht so leicht Laufmaschen wie manche anderen. In manchen Kaufhäusern verkaufen sie einem den letzten Dreck.«
    »Das reicht jetzt«, sagte Mrs. Kehoe. »Ich bin sicher, dass alle Kaufhäuser ihr bestes tun.«
    Wegen all der Aufregung und den Diskussionen um den Nylonausverkauf bemerkte Eilis erst am Ende der Mahlzeit, dass drei Briefe für sie da waren. Jeden Tag hatte sie, sobald sie von der Arbeit heimkam, nach der Post gesehen, die Mrs. Kehoe auf den Beistelltisch in der Küche legte. Sie konnte es nicht fassen, dass sie es an dem Abend vergessen hatte. Sie hielt die Briefe nervös in der Hand, während sie mit den anderen Mieterinnen noch eine Tasse Tee trank, und ihr Herz schlug schneller, wenn sie daran dachte; sie wartete nur auf den Moment, da sie auf ihr

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