Brown, Sandra - Ein skandalöses Angebot
Hände
vors Gesicht. Grundgütiger, sie hatte diesen Kuss genossen
und würde ihn nie vergessen. Wenn sie diesen Mann heiratete und mit ihm zusammenlebte, würde ihr ständig jener
vergänglich kurze Augenblick der Leidenschaft im Kopf herumschwirren. Könnte sie das verkraften? Zumal er diese
Episode bestimmt nicht vergessen hatte.
Andererseits hatte sie keine wirkliche Alternative. Wenn
sie Jared heiratete, wäre sie wenigstens versorgt.
In zwei Jahren würde sie das Geld sicher bitter nötig haben. Mit zwanzigtausend Dollar konnte man ein angenehmes Leben führen. Rein vom finanziellen Standpunkt aus
betrachtet eine Riesenchance.
Und was war mit ihren Gefühlen für Jared Lockett? Von
wegen! Sie blendete den Gedanken an ihn hastig aus. Jetzt
waren ihre grauen Zellen gefragt. Irgendwie würden sie sich
schon zusammenraufen. Und damit wäre schon viel gewonnen. Immer langsam, einen Schritt nach dem anderen.
Sie traf ihre Entscheidung.
Und blieb den ganzen Tag über in ihrem Zimmer, bis sie
sich halbwegs wieder gefasst hatte. Zum Abendessen zog
sie eine frische Bluse an und steckte ihre Haare sorgfältig
hoch. Sie presste sich ein feuchtes Tuch aufs Gesicht, um
ihre vom Weinen geröteten Augen zu kühlen. Innerlich aufgewühlt, mit klopfendem Herzen stieg sie die Treppe hinunter.
Bei Tisch erwähnte Olivia eher beiläufig: »Lauren, die
Hochzeit findet morgen in einer Woche statt. Wir feiern mit
einem kleinen Kreis ausgesuchter Gäste.«
»Meinetwegen«, antwortete Lauren knapp.
Jared tauchte nicht auf. Wo er steckte, erfuhr seine Verlobte nicht.
Kapitel 8
Die darauffolgenden Tage waren mit fieberhafter Hektik
ausgefüllt, weshalb Lauren wenig Zeit zum Nachdenken
blieb. Alles drehte sich um das große Ereignis, und es war
bei Weitem einfacher, sich treiben zu lassen und mit dem
Strom zu schwimmen. Tagsüber war sie dermaßen beschäftigt, dass sie abends erschöpft in ihr Bett kroch. Dann lag
sie stundenlang wach und zermarterte sich das Hirn, ob ihre Entscheidung richtig gewesen war. Bis der Schlaf endlich
die ersehnte Erlösung brachte.
Elena und Rosa waren überrascht und erfreut, dass Señor
Jared die bezaubernde Miss Holbrook heiraten würde. Mit
wachsender Begeisterung stürzten sie sich in die Hochzeitsvorbereitungen. Und kümmerten sich so rührend um
Lauren, dass ihre Bedenken in den Hintergrund traten.
Jared nahm ihre bevorstehende Heirat mit kühler Gelassenheit hin. Er spielte ihr nichts vor. Wenn sie zusammen
waren, behandelte er sie mit ausgesuchter Höflichkeit. Ansonsten ging er ihr nach Möglichkeit aus dem Weg. Er hätte
sie leidenschaftlich lieben oder zutiefst verachten können -
seine distanzierte Haltung verriet nichts darüber.
Olivia organisierte die Hochzeit in dem knapp gesteckten
Zeitrahmen. Lauren blieb dabei ziemlich außen vor. Sie
wusste nur, dass die Trauung in dem großen Salon stattfinden würde. Nachher sollte es einen kleinen Empfang mit
ausgesuchten Gästen geben. Für ihre »Flitterwochen« war
Keypoint vorgesehen.
Mehrmals täglich ließ Lauren zähneknirschend Anproben
über sich ergehen, weil Olivia darauf bestand, dass sie eine
komplett neue Garderobe benötigte. Nicht etwa aus Großzügigkeit oder mütterlicher Zuneigung für Lauren, nein,
Olivia legte gesteigerten Wert darauf, dass alles so normal
wie möglich wirkte und niemand Verdacht schöpfte.
Sie hatte das Gerücht gestreut, dass Laurens Eltern nicht
zur Hochzeit kommen könnten, weil ihrem herzkranken
Vater die Strapazen der Reise nicht zuzumuten wären. Und
da ihre Mutter mit seiner Pflege ausgelastet war, hatte Olivia die Hochzeitsvorbereitungen großzügigerweise übernommen. Auch wenn diese Geschichte unglaubwürdig
klang, hätte es niemand gewagt, diesen Verdacht laut zu
äußern.
Mrs. Gibbons, die Näherin, die Lauren innerhalb kürzester Zeit eine neue Garderobe auf den Leib schneiderte,
schwankte zwischen Bestürzung und Begeisterung, dass Jared Lockett, der begehrteste Junggeselle von ganz Texas,
endlich unter die Haube kam.
Lauren war voller Bewunderung für die vielen schönen
Sachen. Blusen mit feinsten handgeklöppelten Spitzen, Tageskleider und Abendroben, Capes, Mäntel, Hüte, Handschuhe lagen in unterschiedlichen Stadien der Fertigstellung ringsum in ihrem Zimmer verstreut. Mrs. Gibbons behandelte Lauren, als modellierte ein Künstler sein Meisterwerk. Sie nahm Maß, drehte das Mädchen nach allen Seiten,
zog, zerrte, zupfte, zwickte, drückte und rückte
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