Brown Sandra
werden. Nein, Hutch würde nicht ins Gefängnis kommen. Aber ein Fehltritt dieses Kalibers ließ sich nicht einfach wie ein Kreidestrich wegwischen. Fritz war religiös genug, um die Hölle zu fürchten. Aber er bezweifelte, daß man erst sterben mußte, um in die Hölle zu kommen. Ein Sünder konnte sie schon auf Erden erleben.
»Ich schätze, es wird dir noch viel mehr leid tun, bevor das alles vorbei ist, Junge. Ich möchte nicht in deiner Haut stecken.«
Fritz war sich bewußt, daß er moralisch falsch handelte, was seinen Sohn betraf. Außerdem tat er diesem Mädchen furchtbar unrecht. Die Alternative war jedoch, Hutchs Leben wegen eines dummen Fehlers zerstört zu sehen. Konnte das irgend jemand von einem Vater erwarten? Nein, das war zuviel verlangt. Fritz konnte nur hoffen, daß er nicht den Tag erleben würde, wenn Hutch Rechenschaft ablegen mußte.
»Du hältst deinen Mund«, befahl er seinem Sohn. »Sprich mit niemandem über die Sache. Je weniger davon wissen, desto besser. Ivan und ich werden uns drum kümmern.«
***
Es war kühl und feucht im Haus, trotz der vagen Sonnenstrahlen, die durch die hohe, dünne Wolkendecke brachen. Jade drehte den Thermostaten auf. Die warme Luft, die aus der Heizung strömte, roch nach verbranntem Staub.
Jade ging den Korridor entlang zu ihrem Zimmer. An der Türschwelle zum Wohnzimmer hielt sie inne und warf einen Blick hinein. Nichts hatte sich hier in den letzten vierundzwanzig Stunden verändert. Nichts, außer ihr selbst. Unwiderruflich.
Das Bewußtsein ihres Verlustes traf sie ein weiteres Mal wie eine Flutwelle. Dieses Gefühl der Bestürzung wurde ihr langsam vertraut, und doch war es noch so frisch, daß es sie jedesmal mit enormer Wucht niederschmetterte. Sie würde lernen müssen, sich dagegen zu wappnen, damit umzugehen.
»Jade, kann ich dir irgend etwas bringen? Kakao? Etwas zu essen?«
Sie drehte sich um und sah ihre Mutter an. Velta wirkte gefaßt, doch ihre Augen waren leer. Lediglich der Form halber gab sie sich fürsorglich. Jade sehnte sich nach ihrem Vater und danach, auf seinem Schoß zu sitzen und sich von ihm in dem alten, knarrenden Schaukelstuhl wiegen zu lassen. Du darfst niemals Angst haben.
»Nein danke, Mama. Ich werde mir später etwas holen, wenn ich gebadet und mir etwas anderes angezogen habe.«
»Ich finde, wir sollten darüber sprechen.«
»Findest du?«
»Werd nicht frech, Jade.« Velta wich eingeschnappt zurück. »Ich bin in der Küche, wenn du mich suchst.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte davon.
Jade schloß die Tür hinter sich und streifte den OP-Kittel ab. Dabei sah sie kurz ihr Bild im Spiegel des Schminktisches. Sie wollte ihren nackten Körper vor dem eigenen Blick schützen und wickelte sich hastig ein Tuch um.
Sie ging ins Badezimmer, ließ heißes Wasser in die Wanne, tauchte bis zum Kinn unter und steckte dann auch den Kopf unter Wasser. Sie spielte mit dem Gedanken, einen tiefen Atemzug zu nehmen, ihre Lungen mit dem heißen Wasser zu füllen und einfach ihrem Leben ein Ende zu setzen.
Aber das konnte sie natürlich nicht. Es war nicht Mut, der ihr zum Selbstmord fehlte, sondern Frieden. Sie würde so lange keinen Frieden mehr finden, bis ihr Gerechtigkeit widerfahren war. Als sie dies erkannte, wußte sie, was sie zu tun hatte.
Als Jade aus ihrem Zimmer kam, wartete Velta bereits in der Küche auf sie. Sie saß an dem kleinen quadratischen Tisch und rührte in ihrem Becher mit Instantkaffee. Jade goß sich ein Glas Milch ein und setzte sich zu ihr.
»Das hat eben ein Hilfssheriff vorbeigebracht. Er sagte du sollst es dir durchlesen, bevor du es zum Gericht zurückschickst.«
Jade starrte auf den großen weißen Umschlag auf dem Tisch, sagte aber nichts.
»Ich weiß nicht, wie du da reingeraten konntest, Jade«, begann Velta. »Ich weiß es wirklich nicht.«
Jade nahm einen Schluck von der Milch.
»Aber du solltest etwas, das schon schlimm genug ist, nicht noch schlimmer machen, indem du die drei Jungs wegen Vergewaltigung anzeigst.« Velta zog ein Papiertuch aus dem Spender und wischte den Kaffee vom Tisch.
Jade fixierte das Glas Milch, das vor ihr stand und ließ die Worte ihrer Mutter wie Wasser an einem glatten Stein abperlen. Sie konnte diese Situation nur überleben, indem sie sich auf eine Zukunft konzentrierte, in der die Dinge anders aussahen.
»Kannst du dir vorstellen, welche Folgen eine Verhandlung für uns hätte?« Velta rieb sich die Arme. »Diese Sache wird dir dein ganzes Leben lang
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