Brown Sandra
stürmen und ihn, Lamar Griffith, im Klassenzimmer verhaften.
Das Blut wich ihm so schnell aus dem Gesicht, daß er den Kopf auf den Tisch legen mußte, um nicht ohnmächtig zu werden. Seine Haut fühlte sich klamm an. Ihm war übel.
Lamar spielte ernsthaft mit dem Gedanken, aus dem Klassenzimmer zu stürmen, in die Stadt zu rennen und sich dem Staatsanwalt auszuliefern. Lieber seine Freunde verraten und sich der Gegenseite stellen, lieber Ivan Patchett auf ewig zum Feind haben, lieber mit Zuhältern, Dieben und Serienmördern eingesperrt sein, als den Zorn seiner Mutter zu spüren.
Lamar schreckte aus seinen Fluchtplänen hoch. Während die anderen Schüler Alexander Pope lasen, ging Donna Dee zum Lehrerpult und bat flüsternd um die Erlaubnis, ins Krankenzimmer gehen zu dürfen.
»Was fehlt dir denn?« fragte die Lehrerin.
»Mir geht’s nicht so gut. Sie wissen schon …« Sie sah die Lehrerin mit dem Blick an, den Frauen austauschen, um zu sagen, daß sie ihre Periode haben.
»Natürlich, Liebes. Geh ruhig nach Hause und leg dich mit einer Wärmflasche ins Bett.«
Verstohlen beobachtete Lamar Donna Dees Abgang. Als sie die Tür hinter sich zuzog, sah sie ihm direkt in die Augen, doch er wußte ihre stille Botschaft nicht ganz zu deuten. Es kam ihm vor, als habe sie ihn anweisen wollen, den Mund zu halten.
Als die Schule endlich aus war, trugen ihn seine wackeligen Knie kaum bis zum Auto. Weil er nicht wußte, was er sonst tun sollte, um eine Antwort auf seine Fragen zu bekommen, fuhr er zu Neal.
Das Patchett-Haus lag auf einem erhöhten Grundstück. Ein Schotterweg führte vom Highway durch dichten Wald dorthin. Der gepflegte Rasen, der das Anwesen umgab, hatte die Ausmaße eines Fußballfeldes.
Das zweigeschossige Ziegelsteingebäude war beeindruckend, obwohl Myrajane oft verächtlich sagte: »Der alte Rums Patchett hat keinen Funken Geschmack besessen. Er mußte unbedingt acht Säulen für die Veranda haben, sechs hätten es auch getan. Aber Rufus wollte deinen Daddy ja mit seinem Haus übertrumpfen. Diese Protzerei ist so billig …«
Doch seit kurzem widersprach sie sich des öfteren selbst, indem sie sagte: »Es ist eine Schande, daß Ivan das schöne Haus so verfallen läßt. Da fehlt eben die Frau im Haushalt. Er hätte längst wieder heiraten sollen. Diese Eula taugt doch überhaupt nicht als Haushälterin. Sie ist faul und schlampig.«
Lamar war dann schlau genug, den Mund zu halten und nicht zu fragen, woher seine Mutter diese Informationen hatte. Denn soweit er wußte, hatte Myrajane niemals einen Fuß in das Patchett-Haus gesetzt. Sie hatte ihn, Lamar, zwar oft dort abgesetzt, war aber nie hereingebeten worden.
Ivans Vater Rufus hatte ein Vermögen mit Baumwolle gemacht. Er war ein cleverer Mann und reagierte schnell, als der Baumwollmarkt zusammenbrach. Während sich seine Konkurrenten mit Händlern herumschlugen und um jeden Penny kämpften, stellte er den Anbau auf Sojabohnen um. Die meisten Baumwollpflanzer verloren alles, wie Myrajanes Familie auch. Sie mußten ihre Parzellen für Centbeträge an Rufus verkaufen.
Rufus riß gierig rechts und links alles Land an sich. Er ignorierte den Spott der anderen und pflanzte stur weiter Soja an. Später baute er eine Fabrik, um die Nebenprodukte selbst herzustellen. Als Rufus starb, erbte Ivan das Land, die Fabrik und die Macht, die damit einherging. Und eines Tages würde Neal dies alles erben. Und danach Neals Sohn.
Lamar war nicht eifersüchtig auf seinen Freund, eher erleichtert, daß er selbst keine derartige Verantwortung trug. Er war mit dem halsstarrigen Familienstolz der Cowans groß geworden und fand diese Haltung dumm und destruktiv. Was hatte es den Cowans genutzt? Die Familie bestand nur noch aus ein oder zwei entfernten Cousins und Myrajane selbst, die habgierig, verbittert und besitzergreifend war. Sie hatte Lamars Vater, den er noch immer vermißte, das Leben zur Hölle gemacht. Vielleicht wären sie alle glücklicher geworden, wenn sie schon immer arm gewesen wären.
Als Lamar um die Ecke bog, sah er, daß er nicht der einzige Gast war. Hutchs Wagen stand bereits in der Auffahrt.
Eula öffnete ihm die Tür. Lamar trat sich gewissenhaft die Füße ab, bevor er die Marmorhalle betrat. »Hi, Eula. Ist Neal da?«
»Er ist oben auf seinem Zimmer, mit Hutch.«
Lamar lief die Stufen in den zweiten Stock hoch und öffnete die zweite Tür rechts hinter der Galerie. Neal saß auf dem Boden und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Bett.
Hutch lag in
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