Brown Sandra
Campus finden würde, damit sie zu Fuß gehen und Velta den Wagen überlassen konnte? Das Herbstsemester fing erst in einem Monat an, doch es gab bis dahin noch so viel zu erledigen. Was sollte sie zuerst suchen– einen Halbtagsjob oder eine Wohnung?
Sie parkte den Wagen vor Bungalow Nummer 3 und mußte über sich selbst lachen, als sie ausstieg, weil sie schon wieder in ihre alte Gewohnheit verfallen war, über alles zu grübeln. Dabei war heute ein Tag zum Feiern und Entspannen. Das Stipendium war immerhin der erste Schritt in Richtung ihres Ziels: Garys Mörder bestraft zu sehen.
Neal Patchett, Hutch Jolly und Lamar Griffith hatten sie vergewaltigt – und sie waren für Garys Tod verantwortlich. Immer wenn sie an ihrem Entschluß, für Gerechtigkeit zu sorgen, zweifelte, mußte sie sich nur daran erinnern, wie Gary am Strick gebaumelt hatte. Neal und seine Gehilfen hatten ihn mit Gewalt und mit Lügen in den Selbstmord getrieben.
Jade würde erst Frieden finden, wenn die drei für ihre Verbrechen bezahlt hatten. Es würde ein langsamer, schmerzlicher Prozeß werden, der sich vielleicht über Jahre hinzog, doch darauf war sie vorbereitet. Dank Dr. Hearon und seinem Komitee war sie auf dem richtigen Weg.
Die Tür zum Bungalow schwang auf. »Mutter? Es hat geklappt!«
Jade betrat den kleinen, muffigen Raum. Der Ventilator am Fenster arbeitete mit wenig Erfolg. Sie registrierte sofort drei Dinge. Einen gepackten Koffer zu Füßen ihrer Mutter. Einen Mann, den zu hassen Jade gelernt hatte, und der auf der anderen Seite des Koffers stand. Und Graham, ihren Sohn, der weinend in seinem tragbaren Bettchen lag.
Jade verharrte an der Tür und versuchte herauszubekommen, was der gepackte Koffer bedeuten könnte. Veltas Blick war hart und herausfordernd. Der Mann wich Jades Blick aus. Sie wollte eine Erklärung verlangen, doch ihr Mutterinstinkt war stärker. Sie ließ die Handtasche auf das Bett fallen, ging zum Kinderbett und nahm ihr weinendes Baby auf den Arm.
Jade wiegte Graham an ihrer Brust. »Schhh, Liebling, was ist denn? Mommy ist doch jetzt bei dir. Es ist alles wieder gut.« Sie hielt ihn, bis er aufhörte zu weinen, dann wandte sie sich an ihre Mutter. »Was macht der hier?«
Der Name des Mannes war Harvey soundso oder soundso Harvey. Es fiel ihr nicht ein. Als sie damals seine Visitenkarte zerrissen und ihm die Schnipsel ins Gesicht geworfen hatte, hatte sie ihn eigentlich aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Damals hatte sie ihm gesagt, sie werde ihn aus dem Krankenhaus werfen lassen, wenn er nicht sofort verschwinden sollte. Er hatte sich als Gründer und Leiter einer privaten Adoptionsvermittlung vorgestellt, doch Jade sah seine Tätigkeit anders. Für sie war er ebensowenig ein Adoptionsvermittler, wie ein Drogenhändler ein Drogist war.
Velta hatte Harvey aufgetrieben. Sie hatte Jade gesagt, daß er die Lösung für all ihre Probleme wäre– sprich, für Jades uneheliches Kind. Velta hatte ihn, ohne Jade zu fragen, am Tag nach Grahams Geburt ins Krankenhaus geschleppt. Harvey hatte ihr mehrere tausend Dollar für ihren Sohn geboten.
»Ein weißes, männliches, gesundes Baby erzielt den höchsten Preis auf dem Markt«, waren seine Worte gewesen.
Jade drückte ihr Baby fest an sich und sah ihre Mutter an.
»Ich habe dir schon lange vor Grahams Geburt gesagt, daß ich ihn niemals zur Adoption freigeben werde. Und gestern habe ich es noch einmal gesagt. Ich habe es damals ernst gemeint, und ich meine es jetzt ernst. Sag deinem Freund, er soll verschwinden, oder ich rufe die Polizei.«
»Harvey ist nicht wegen dir oder deinem Baby hier«, sagte Velta.
Jade sah mißtrauisch von einem zum anderen. »Was will er dann? Woher wußte er, wo wir sind?«
»Ich habe ihn gestern abend angerufen und ihm gesagt wo wir sind.«
»Warum?«
Graham fing an, sich in ihrer engen Umklammerung zu winden, doch sie lockerte ihren Griff nicht. Ganz gleich, was ihre Mutter sagte– Jade hatte Angst, daß sie ihr das Baby wegnehmen wollte. Die schwierige Situation hatte das Verhältnis zwischen ihnen beiden nicht verbessert. Jades Bemühungen, einen Studienplatz zu bekommen, ärgerten Velta. Ihrer Meinung nach war die einzige Lösung für eine Frau mit einem unehelichen Kind die Ehe.
»Laß uns nach Palmetto zurückgehen, Jade«, hatte sie eines Tages im Frühsommer vorgeschlagen. »Wenn wir schon wie Aussätzige leben müssen, dann wenigstens in einer vertrauten Umgebung. Und wenn du dich halbwegs anständig aufführst, kriegst
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