Brown Sandra
einen verächtlichen Blick zu. »Er beutet die Gefühle der Menschen aus. Er handelt mit Kindern. Ist das der Mann, den du heiraten willst? Daddy hat die Ehrenmedaille bekommen. Er war ein Held. Wie kannst du auch nur daran denken …«
»Dein heldenhafter Vater hat sich selbst umgebracht, Jade.«
»Das ist nicht wahr!«
Veltas Augen verengten sich. »Es war alles in Ordnung, bis du gekommen bist. Dein Vater hat es nicht mehr ertragen, mit uns zusammenzuleben. Er hat sich das Gehirn weggepustet. Damit gehen schon zwei Selbstmorde auf dein Konto, Jade. Seit dem Tag deiner Geburt hast du mir nichts als Ärger gemacht. Ich werde nicht den Rest meines Lebens unter dem Fluch leiden, der auf dir liegt.« Sie stieß Jade beiseite und stieg in den Wagen.
Harvey knallte die Beifahrertür geräuschvoll zu, ging um den Wagen und setzte sich hinters Steuer. Velta mied Jades Blick, als sie zurücksetzten und wegfuhren.
»Mama, nein!« rief Jade hinter dem Wagen her, doch sie brausten davon. »Mama!« Sie sah ihnen nach, bis das Auto verschwunden war, und blieb fassungslos stehen. Schließlich wurde sie von Grahams Weinen in die Wirklichkeit zurückgeholt.
Sie ging in den Bungalow zurück. Graham streckte beleidigt die pummeligen Ärmchen nach ihr aus. Sein Mund stand weit offen, die beiden weißen Zähnchen blitzten auf. Jade redete beruhigend auf ihn ein, während sie die Windel wechselte. Offensichtlich hatte Velta sich in der ganzen Zeit, in der sie fort gewesen war, nicht die Mühe gemacht, ihn zu wickeln.
Sie saß mit dem Baby auf dem Arm, wiegte es und wartete, daß das Fläschchen warm wurde. Als es die richtige Temperatur hatte, steckte sie Graham den Sauger in den Mund, den er gierig fast verschluckte. Sein großer Appetit hatte Jade gezwungen, ihn schon früh abzustillen.
Er griff in den Stoff ihrer Bluse und verkrallte die kleinen Finger darin. Jade hielt ihn ganz eng an ihre Brust gedrückt, um ihm beim Saugen das Gefühl zu geben, er würde von ihrem Körper trinken.
Es würde ihr immer ein Rätsel bleiben, wie so etwas Süßes und Schönes wie er aus etwas so Häßlichem wie einer Vergewaltigung hervorgehen konnte. Sie brachte Graham nur selten mit diesem Erlebnis in Verbindung, weil der Gedanke daran sie gezwungen hätte zu spekulieren, von wem er abstammte. Sie wollte es niemals erfahren.
An jenem Nachmittag in Georgies Haus hatte sie das Baby zum erstenmal unabhängig von dem Verbrechen gesehen. Georgie hatte ihr gezeigt, daß sie sich nicht nur mit medizinischen Instrumenten, sondern vor allem auch mit Menschen gut auskannte. Und an diesem Nachmittag hatte ihr Instinkt ihr gesagt, daß sie die junge, verängstigte Jade noch einmal fragen mußte, ob sie die Abtreibung wirklich wollte.
»Sie sind nicht wie die anderen Mädchen, die sonst zu mir kommen, Miss Sperry. Das hat sogar diese kleine Watley gesagt. Sind Sie sicher, daß Sie das wirklich wollen?«
Und in diesem Augenblick hatte Jade erkannt, daß sie es nicht wollte. Der Embryo in ihr hatte plötzlich, wie durch ein Wunder, mit der Vergewaltigung nichts mehr zu tun. Das Kind, das in ihr wuchs, gehörte ihr. Sie liebte es, sofort und bedingungslos.
Diese Erkenntnis löste einen derartigen Gefühlsstau in ihr, daß sie auf Georgies weißbezogenem Tisch zusammenbrach. Eine halbe Stunde lang Kummer, sondern Entscheidung befreit zu sein, die sie seit Wochen bedrückt hatte.
Als es vorbei war, zitterte sie am ganzen Körper und fühlte sich geschwächt. Dennoch zwang sie sich aufzustehen, dankte Georgie und ging. Georgie hatte die fünfzig Dollar behalten; eine Beratung kostete eben nicht weniger als eine Abtreibung selbst.
»Und jetzt ein kleines Bäuerchen?« Jade zog den Sauger aus Grahams Mund. Er protestierte, hörte aber auf, als Jade ihm den Rücken klopfte. Er rülpste wohlig. »Meine Güte!« rief sie. »Der war aber prima!« Er sah strahlend zu ihr auf, und eine Woge der Liebe durchströmte sie. Sie fuhr ihm mit dem Daumen über die Lippe, wischte die Milch ab und leckte sie von ihrem Finger. Dann legte sie Graham wieder an die Brust und fütterte ihn weiter.
An jenem Tag damals war sie schwach, erschüttert, doch voller neuer Hoffnung von Georgie weggefahren. Wenn sie Gary alles erklärte, würde er verstehen. So liebevoll und fürsorglich wie er war, würde er ihrer Entscheidung, das Baby zu behalten, zustimmen. Sie würden Palmetto verlassen heiraten und gemeinsam ihre Träume verwirklichen. Gary würde das Baby wie sein eigenes aufziehen, und
Weitere Kostenlose Bücher