Bruder Cadfaels Buße
Privatheere wie auch durch habsüchtige Nachbarn an der Tagesordnung waren. Selbst das im Inneren der Stadt gelegene kleine hölzerne Kastell des Grafen von Chester wies Narben auf und hätte sich kaum noch als Quartier für das Gefolge geeignet, das er an den Verhandlungstisch mitzunehmen gedachte. Schon gar nicht hätte er dort seinen jüngst versöhnten und beschwichtigten König zu bewirten vermocht. Man durfte also annehmen, daß er sein berechnendes Werben lieber von der in angenehmer Entfernung liegenden Burg Mountsorrel aus fortzuführen gedachte.
Die Stadt war in zwei Hälften geteilt: hier die des Priors und dort die des Grafen. Gelegentlich vernahm man ein unzufriedenes Murren über ungleich aufgeteilte Vorrechte, doch galt für alle eine gemeinsame Rechtsprechung, die jeder achtete, und im großen und ganzen lebten sie recht friedlich nebeneinander. Nur in wenigen Städten Englands war der Wohlstand größer, und keine von ihnen verstand es besser, sich wechselnden Umständen anzupassen und ihren Vorteil zu nutzen. Auf den Straßen herrschte reges Treiben: Kaufleute und Händler rückten ihre Waren ins günstigste Licht, damit diese den zusammenströmenden Edlen in die Augen stächen. Auch wenn man vielleicht nicht unbedingt damit rechnete, daß die Zusammenkunft von langer Dauer sein oder in eine friedliche Lösung münden würde, Geschäft ist Geschäft, und wo sich Grafen und Barone versammelten, lockte Gewinn.
Bunte Wimpel flatterten von den der Straße zugewandten Hausfassaden, und Lakaien in reich geschmückten Livreen eilten zwischen dem Tor der Priorei und den Pilgerherbergen hin und her. Da die Stadt Coventry neben den Reliquien ihres Schutzpatrons Osburg auch einen Arm des heiligen Augustinus und zahlreiche minder bedeutende Reliquien ihr eigen nannte, hatte sie schon seit ihrer Gründung vor etwas mehr als hundert Jahren Nutzen aus dem Strom der Pilger gezogen. Auch die Reichen und Mächtigen, die jetzt dort zusammenkamen, konnten, sofern ihnen an ihrem Ruf lag, kaum abreisen, ohne der Kirche als Dank für ihre Aufnahme und die Gastfreundschaft reichlichen Lohn zu hinterlassen.
Die drei Männer ritten im Schritt durch das Gesumm der geschäftigen Straßen, und schon lange, bevor sie das Tor der Priorei Sankt Marien erreicht hatten, nahm man an Yves eine gewisse Erregung wahr. Offenbar vermittelte ihm das in der Stadt herrschende lebhafte Treiben den Eindruck, als heiße sie ihre Besucher willkommen und als dürften sie auf die Möglichkeit einer Aussöhnung hoffen.
Er benannte einige der unbekannten Wappen und Banner, denen sie unterwegs begegneten und tauschte Grüße mit jungen Männern seines Standes, die wie er getreue Anhänger der Kaiserin waren.
»Hugh Bigod aus Norfolk ist vor uns eingetroffen...
Da sind einige seiner Leute. Und seht ihr dahinten den Mann auf dem Rappen? Das ist Reginald FitzRoy, Halbbruder der Kaiserin, der jüngere, den Philip vor nicht einmal einem Monat ergriffen und dessen unverzügliche Freilassung der König angeordnet hat. Ich frage mich«, fuhr Yves fort, »wie Philip es wagen konnte, Hand an ihn zu legen, wo er wußte, daß Reginald unter Roberts Schutz steht, denn sie haben ein wahrhaft brüderliches Verhältnis zueinander. Aber alles, was recht ist, Stephen hält Wort. Er hatte freies Geleit zugesichert und sich daran gehalten.«
Inzwischen hatten sie das breite Tor erreicht, das in den Prioreibezirk führte. Im großen Hof wimmelte eine farbenfrohe Menge durcheinander. Die wenigen Benediktinermönche in ihren Kutten, die sich nach Kräften bemühten, ihren Aufgaben nachzugehen und das Tagespensum zu erledigen, gingen in der großen Zahl der zu Besuch weilenden hohen Herren und ihrer Diener völlig unter.
Während die einen ankamen, ritten andere aus, um sich in der Stadt umzusehen oder Bekannte zu besuchen. Reitknechte führten Pferde am Zügel, die angesichts der Menge unruhig und furchtsam waren. Knappen versorgten das Gepäck ihrer Herren oder nahmen Pferden die Sättel ab. Hugh mußte bei seinem Eintritt einem auffällig gekleideten hochgewachsenen Herrn ausweichen, der sich gerade in den Sattel schwang.
»Roger von Hereford«, sagte Yves voll Begeisterung, »der neue Graf. Sein Vater ist vor einigen Jahren bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen. Der Mann, der sich gerade auf der Treppe dahinten umsieht, ist Humphrey de Bohun, der Haushofmeister der Kaiserin. Sie muß schon da sein -«
Dann erstarrte er mit offenem Mund und ließ den Satz
Weitere Kostenlose Bücher