Bruder Cadfaels Buße
diesem Augenblick fehlte es nur wenig und es wäre zum Kampf gekommen, den die Männer in Ermangelung von Waffen mit Fäusten, Füßen und Zähnen hätten führen müssen. Doch voll Empörung hatte sich der Bischof von Winchester erhoben, um Roger de Clintons laut hallende Forderung nach Ruhe und Ordnung zu unterstützen. Auch König und Kaiserin waren aufgesprungen und schleuderten drohende Blicke, woraufhin die Unruhe allmählich nachließ. Doch hing der scharfe Geruch von Zorn und Haß nach wie vor zitternd in der Luft.
»Wir vertagen die Versammlung, weitere hitzige Worte sind hier fehl am Platz«, sagte Bischof de Clinton entschlossen, nachdem die Stille eine unbehagliche Weile gedauert hatte. »Wir werden uns am Nachmittag erneut treffen, und ich erwarte von euch allen eine bessere und christlichere Haltung. Überdies erwarte ich, daß diejenigen unter euch, die nicht nur mit Worten, sondern in ihrem Herzen wahrhaft den Frieden suchen, nach der Versammlung, wie auch immer ihr Ergebnis aussehen mag, unbewaffnet an der Vesperandacht teilnehmen. Dann wollen wir für diesen Frieden beten, ohne Feindseligkeit, sondern guten Willens gegenüber allen Menschen.«
4. Kapitel
r lügt«, empörte sich Yves auch noch während des einfachen Mahls mit zornrotem Gesicht.
Dennoch griff er so wacker zu wie ein hungriger Halbwüchsiger. »Er hat den Rat zu keiner Zeit verlassen.
Könnt ihr euch vorstellen, daß er auf Beute für sich selbst verzichtet oder sich mit weniger als dem Besten zufriedengibt? Er weiß sehr wohl, wer Olivier in Gewahrsam hat. Aber wenn nicht einmal Stephen ihn zwingen kann, darüber auszusagen, oder ihn nicht zwingen will — wie soll man dann etwas aus ihm herausbringen?«
»Auch ich vermute, daß er ein Lügner ist. Aber selbst die sagen manchmal die Wahrheit«, gab Hugh besonnen zu bedenken. »Mir scheint, es gibt nur sehr wenige Menschen, die etwas über Oliviers Geschick wissen - wenn überhaupt jemand etwas weiß. Ich habe überall herumgefragt, wo es mir möglich war, ohne den geringsten Erfolg, und bestimmt hat auch Cadfael bei den Klosterbrüdern die Ohren offengehalten. Ich bin überzeugt, daß der Bischof nun seine eigenen Nachforschungen betreibt, nachdem er heute morgen von Euch erfahren hat, wie die Dinge stehen. Und das ist auch gut so.«
»Ich an Eurer Stelle würde die Sache aus dem Kapitelsaal heraushalten«, sagte Cadfael, tief in Gedanken. »Mit Sicherheit werden sich König wie Kaiserin erklären müssen. Keinem von beiden wird es gefallen, wenn man von ihnen fordert, daß sie sich um das Schicksal eines einzelnen Edelmanns kümmern, wo ihr eigenes auf dem Spiel steht. Fragt herum, ob es andere hier gibt, die in Faringdon dabei waren. Ich werde mit dem Prior sprechen. Auch Mönche erfahren Gerüchte so schnell wie jeder andere - umso besser, wenn sie sich selbst nicht dazu äußern.«
Doch Yves brütete weiter finster vor sich hin und ließ nicht von der Zielscheibe seines Zorns ab. »De Soulis weiß es. Ich bekomme es heraus, und müßte ich es ihm aus seinem Verräterherzen schneiden.« Mit einer Handbewegung wischte er beiseite, was Cadfael möglicherweise dazu hätte sagen wollen. »Kein Wort!« entgegnete er, »ich weiß, daß ich mich von ihm fernhalten muß, solange ich hier eingesperrt bin.«
Warum nur betont er das Offensichtliche so nachhaltig und bleibt doch zugleich so zurückhaltend, als müsse er sich selbst an etwas erinnern und nicht andere beruhigen?, dachte Cadfael. Warum richtet er seinen sonst so offenen und in die Weite schweifenden Blick zweifelnd nach innen und sieht in die Vergangenheit, auf etwas, das wir kaum verstehen und das zutiefst beunruhigend ist?
»Aber bald werden er und ich das Territorium der Kirche verlassen«, sagte Yves, seine Grübeleien von sich abschüttelnd. »Dann hindert mich nichts daran, ihm gewappnet gegenüberzutreten und ihn zu zwingen, daß er mit der Wahrheit herausrückt.«
Cadfael ging hinaus und bahnte sich seinen Weg durch die Menschenmenge im großen Hof zur Prioreikirche. Die Mächtigen hatten sich wohl noch nicht von der Tafel erhoben, um ihre Gespräche wieder aufzunehmen, die bisher so wenig erfolgversprechend verliefen; ihm blieb also Zeit, sich eine Weile in einen stillen Winkel zurückzuziehen und von der Welt abzusondern. Doch stille Winkel gab es auch in der Kirche nur wenige. Eine ganze Reihe minder bedeutender Anhänger der beiden Parteien war auf den Gedanken verfallen, sich an einem Ort
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