Bruder Cadfaels Buße
in das Schloß einer weiteren schmalen Tür. Es funktionierte so glatt und unauffällig wie alles, das ihm diente.
Ohne daß er sich die Mühe gemacht hätte, die Tür hinter sich zu verschließen, trat er in die Zelle. Sie war bis über halbe Mauerhöhe aus dem nackten Fels geschlagen und lief oben in eine steinerne Decke aus. Sie war so groß, daß sich Philip bei seinen seltenen Besuchen außerhalb der Reichweite des Gefangenen halten konnte, dessen Hände nicht gefesselt waren. Allerdings umschlossen schmale stählerne Bänder seine Fußknöchel. Die daran befestigte lange Kette lief zu einem Ring in der Wand neben seinem Lager. In Anbetracht der Klugheit und des Mutes, die seinen Gefangenen auszeichneten, ging Philip kein Risiko ein. Selbst wenn Helfer dorthin vorzudringen vermochten, würde es sie die größte Mühe kosten, ihn aus seinem Verlies zu befreien. Auch wenn es nicht Philips Absicht war, ihn zu entstellen oder zu verunglimpfen, ließ er sich nicht in seiner Entschlossenheit beirren, ihn von der Außenwelt fernzuhalten, als einzigartigen Besitz, für den sich kein Preis festsetzen ließ.
Die Luft im Inneren des Raumes war von beißender Kälte, aber trocken. Durch den Luftschacht, der auf der Hofseite zu einem Gitter in der Mauer des Turms emporführte, gelangte kalte Zugluft herein. Ein im gewachsenen Fels außerhalb des Luftstroms befindlicher Halter trug eine massige Kerze, die gleichmäßig brannte. Neben ihr wartete eine weitere darauf, die allmählich zu Ende brennende Kerze zu ersetzen. Beide ließen sich mühelos von der ebenen Steinfläche aus erreichen, auf der sich das Lager des Gefangenen befand.
Beim ersten Geräusch des Schlüssels richtete sich Olivier de Bretagne auf. Wie Speere schössen seine Blicke der Tür entgegen.
»Auch nach so langer Zeit kein Gruß für mich?« fragte Philip. Die Kerzenflamme zuckte im Luftzug, der durch die offene Tür hereindrang. Er bemerkte es, und schloß sie hinter sich. »Ich habe Euch vernachlässigt.«
»Ihr seid willkommen«, sagte Olivier mit kalter Würde.
Ihre Worte prallten mit einer leichten Verzögerung aufeinander, für die ein von der Mauer zurückgeworfenes Echo verantwortlich war. Es wirkte so, als befände sich ein Dritter im Raum, der ihnen zuhörte und sich zu ihren Worten äußerte. »Ich bedaure, Euch keine Erfrischung anbieten zu können, mein Gebieter, aber zweifellos habt Ihr bereits zu Abend gespeist.«
»Und Ihr?« fragte Philip mit einem knappen Lächeln.
»Ich sehe, daß die Tabletts leer zurückkommen. Es beruhigt mich, daß Ihr Euren Appetit nicht eingebüßt habt.
Es wäre enttäuschend, wenn Euer Wille nachließe, alle Kräfte für den Tag zu bewahren, an dem Ihr mich tötet.
Sagt nichts, das ist nicht nötig. Ich erkenne an, daß Ihr ein Anrecht darauf habt, ich bin aber noch nicht so weit. Haltet still und laßt mich Euch ansehen.«
Während Philip seinen Gefangenen aufmerksam musterte, hielten dessen Augen, deren Iris golden umrandet war wie bei einem Jagdfalken, den seinen unverwandt stand. Olivier war sehr schlank, aber hinter seiner schmalen Gestalt ließ sich angespannte Energie erkennen. In ihm brannte die unerträgliche Glut des Hasses und zugleich der Zorn darüber, daß er ihm nicht Ausdruck verleihen konnte. Von Anfang an hatten beide das gleiche Ausmaß an Wut und Qual empfunden, beide standen einander in erbitterter Feindschaft gegenüber, beide litten unter dem Schmerz, den ihnen der andere zugefügt hatte.
Sogar in dieser Hinsicht waren sie einander ebenbürtig, eine vollkommene Paarung. Olivier wirkte gepflegt, seine Kleidung war sauber und sein Lager reinlich. Ein tönernes Gefäß mit Wasser und ein Ledereimer für die Bedürfnisse seines Leibes ermöglichten es ihm, seine Würde zu bewahren. Die Kerze konnte er nach Wunsch löschen oder neu entzünden, denn er hatte neben seinem Lager in einer hölzernen Schachtel Feuerstein, Stahl und Zunder. Feuer ist eine gefährliche Gabe, aber warum nicht? Mauerwerk läßt sich damit nicht in Brand setzen, und kein in ein steinernes Verlies Eingesperrter würde, solange er bei klarem Verstand ist, Feuer an die eigene Lagerstatt oder was sonst brennbar sein mag, legen und sich damit dem sicheren Tod durch Ersticken ausliefern. Olivier war bei geradezu unmäßig klarem Verstand, der ihn aber nur seine eigenen anspruchsvollen Maßstäbe erkennen ließ und nicht die Hoffnungen, die Verzweiflung, die lahmen und kläglichen Notbehelfe, mit denen schwächere
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