Bruder Cadfaels Buße
unaufhörlich wiederholt, damit Gott ihn auf keinen Fall vergaß. Was er für sich selbst erbitten konnte, schien unerheblich in der Stunde, da der Tag mit all seinen ungelösten Besorgnissen zu Ende ging, die Schwierigkeiten des bevorstehenden Tages noch nicht eingetreten waren und sich auch noch nicht voraussehen ließen.
Als er sich erhob und wieder der Tür zuwandte, sah er, daß sich die Falten des Vorhangs leicht bewegten. Eine Hand schob das schwere Tuch beiseite. Als Yves vor ihn trat und mit dringlicher Gebärde und weit aufgerissenen Augen unübersehbar um Vorsicht und Stille bat, rührte sich Cadfael nicht und gab keinen Laut von sich. Schweigend sahen beide einander eine Weile an. Dann drängte Cadfael den Besucher mit einer Hand sacht in sein Versteck zurück und beugte sich aus der Tür, um nach links und rechts den steinernen Gang entlangzuspähen. Zwar lag Philips Gemach nicht weit von der Kapelle entfernt, doch ob er sich in jener Nacht dort befand, war fraglich.
Nichts regte sich. Cadfael griff hinter sich, packte Yves am Handgelenk und zog ihn eilends über den Gang zu seiner keine zehn Schritt entfernten schmalen Zelle. Dann schloß er die Tür zur Außenwelt. Sie umarmten einander stumm und lauschten auf Geräusche, hörten aber nichts.
»Sprecht leise«, begann Cadfael, »dann kann uns niemand hören. Der Kaplan schläft ganz in der Nähe.« Auch im Inneren des Gebäudes waren die Mauern sehr dick.
»Was führt Euch her? Und wie seid Ihr in die Burg gelangt?« Er bot seinem unerwarteten Besucher das Bett als Sitzgelegenheit an und faßte ihn bei den Schultern, als könne ihm nichts geschehen, solange er ihn berührte. »Ihr müßt von Sinnen sein! Was könnt Ihr hier bewirken? Ich war so froh zu wissen, daß Ihr draußen seid, ganz gleich, was jetzt kommen mag.«
»Ich bin den Rebstock an der Mauer emporgestiegen«, sagte Yves im Flüsterton, »und ich muß auf demselben Weg zurückkehren, es sei denn, Ihr wißt einen besseren.«
Allmählich wurden ihm die Anstrengungen und Gefahren bewußt, die hinter ihm lagen. Cadfael spürte ihn durch seine Hände zittern wie die Sehne eines Bogens, der nach dem Schuß allmählich zur Ruhe kommt. »Es ist nicht besonders schwierig - immer vorausgesetzt, man kann den Wächter ablenken, während ich zum Wehrgang emporsteige. Aber das hat Zeit. Auf jeden Fall mußte ich Euch irgendwie sprechen. Er muß wissen, was sie plant...«
»Meint Ihr Philip?« fragte Cadfael scharf.
»Wen sonst? Er muß wissen, was ihm droht. Die Kaiserin ist mit einem halben Dutzend ihrer Edlen, die in Gloucester versammelt waren, vor die Burg gezogen und sie haben ihre gesamte Streitmacht mitgebracht. Salisbury, Redvers von Devon, FitzRoy, Bohun, der Schottenkönig und alle anderen. Es ist das größte Heer, das sie seit mehr als einem Jahr aufbieten kann. Sie ist bereit, es gegen La Musarderie einzusetzen. Auch wenn es sie einen hohen Preis kosten sollte, sie will die Burg möglichst rasch einnehmen. Keinesfalls soll Gloucester vorher erfahren, was gespielt wird. Er hält sich zur Zeit in Hereford auf.«
»Aber sie braucht ihn!« entgegnete Cadfael ungläubig.
»Ohne ihn kann sie nichts tun - zumal es um seinen Sohn geht, ob er nun abtrünnig ist oder nicht.«
»Genau deshalb möchte sie ja, daß er erst von der Sache erfährt, wenn alles vorüber ist«, erwiderte Yves heftig.
»Sie will Philip ein für alle Mal aus dem Weg räumen, will ihn am Galgen sehen. Sie hat es geschworen, und sie wird es tun. Bis Robert davon erfährt, bleibt ihm nur noch die Gelegenheit, den Leichnam seines Sohnes zu beerdigen.«
»Das würde sie nie wagen!« sagte Cadfael mit Nachdruck.
»O doch! Ich habe sie gesehen und ihre Worte gehört!
Sie ist entschlossen, ihn zu töten, und hier sieht sie ihren Augenblick gekommen. Sie hat ihm die Zähne schon in die Gurgel geschlagen. Ich bezweifle, daß selbst Robert ihren tödlichen Griff noch lösen könnte, aber sie denkt nicht daran, ihm die Möglichkeit dazu zu lassen. Alles wird vorüber sein, bevor er davon erfährt.«
»Sie muß den Verstand verloren haben!« sagte Cadfael.
Er nahm die Hände von den Schultern des jungen Mannes und setzte sich. Vor sein inneres Auge trat die unendliche Kette von Ausschreitungen und Abscheulichkeiten, die auf diesen Tod folgen würden: Blutsbande bedeuteten keine Verpflichtung mehr, Treuegelöbnisse wären nicht mehr bindend, es bliebe kaum Hoffnung auf Versöhnung und einen Sieg des gesunden
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