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Bruderdienst: Roman (German Edition)

Bruderdienst: Roman (German Edition)

Titel: Bruderdienst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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zu Ihnen aufgenommen?«
    Kim starrte vor sich hin. Er nickte, dachte konzentriert nach, seine Hände begannen sich auf der Tischplatte zu bewegen. »Meine Erklärungen könnten naiv sein, aber ich denke, dass diese Bombensache ungeheuer aufregend gewesen sein muss. Mag sein, dass er den Auftrag unseres Staatsoberhauptes hatte, aber das gab ihm in der Sache keine Sicherheit. Er musste das Ganze offensichtlich allein durchziehen. Er musste mit sehr vielen Leuten sprechen und darauf vertrauen, dass sie sich an seine Anweisungen hielten. Er durfte sich keinen Fehler erlauben, denn bei einer solchen Sache kann doch bereits der kleinste Fehler ein Todesurteil bedeuten.«
    »Halten Sie es denn für möglich, dass der Diktator nichts davon wusste? Nicht, ehe die Geldströme eintrafen?«
    »Warum sollte mein Bruder auf eigene Faust gehandelt haben? Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich denke, der Staat hat einen Weg gesucht, zu Geld zu kommen. Um Lebensmittel zu kaufen. Das wusste unser Führer.« Es war deutlich spürbar, dass er den Begriff Diktator nicht verwenden konnte. Er hatte ihn nie verwendet, er hatte geglaubt.
    »Das ist richtig«, bestätigte Krause nickend. »Sie haben geäußert, dass Ihr Bruder das Land verlassen wollte. Und Sie haben auch eine Erklärung dafür mitgeliefert. Demnach war Ihr Bruder mit Nordkorea am Ende. Er wollte nicht nur gehen, er musste sogar. Warum, glauben Sie, rief er dann plötzlich bei Ihnen an?«
    »Er hatte Angst. Er hatte Angst davor, dass ich etwas gegen ihn in der Hand hatte. Und ich hatte sehr viel in der Hand, das können Sie mir glauben. Alle seine Tricks, alle seine Opfer, alle seine Schweinereien. Alle Menschen, die viel Macht haben, wollen in einem guten Licht erscheinen, sie wollen, dass man sie bewundert. Wenn ich etwas besaß, das gegen meinen Bruder sprach, würde mein Volk ihn nachträglich verfluchen. Es war eine Art irrationale Eitelkeit.«
    »Was meinen Sie, Kim, wohin würde ein solcher Mann gehen?«
    »Ich denke immer noch darüber nach. Wenn er wirklich über den Verkauf der Bombe verhandelt hat, dann kann es doch sein, dass er bei dem Handel Bedingungen stellte. Neue Papiere, zum Beispiel, eine ganz neue Identität und die notwendigen Unterlagen dazu. Ja, und von Nordkorea würde wahrscheinlich keine Rede mehr sein, er könnte sich dann seine Herkunft aussuchen. Und wenn er mir schon mit einem Handstreich so viel Geld nach Schanghai schicken konnte, dann werden ihm die Käufer der Bombe sicherlich vier oder sechs oder acht Millionen Dollar oder Euro zur Verfügung gestellt haben. Das wäre doch neben dem Kaufpreis für die Bombe Kleingeld, oder?« Er sah sie der Reihe nach an, und nur Müller schloss die Augen und nickte bedächtig.
    »Da stimme ich Ihnen zu«, sagte Krause. »Sagen Sie, Kim, haben Sie sich auch darüber Gedanken gemacht, ob Sie Ihren Bruder hier in der sogenannten freien westlichen Welt jemals wiedersehen würden?«
    »Sicher. Das war das Erste, an das ich dachte, als ich darauf kam, dass er Nordkorea verlassen würde. Ich dachte, er ruft mich todsicher an und erklärt mir, ich sei immer noch ein Versager, ein Loser und so weiter und so fort. Ich dachte, das braucht er dann bestimmt mehr als je zuvor.«
    »Ja«, stimmte ihm Krause lebhaft lächelnd zu. »Vor allem weil er dann niemanden mehr so ohne Weiteres aufs Kreuz legen könnte. Er wäre dann arbeitslos.«
    Kim musste lachen und bemerkte: »Das ist eine feine Überlegung.«
    »Diese Telefonate mit Ihrem Bruder fanden einen Tag vor Ihrer Flucht statt, nicht wahr?«
    »Nein, bis zu meiner Flucht blieben mir noch ein Tag und eine Nacht. Dann machte ich mich auf den Weg.«
    »Wie lange marschiert denn ein Mann bis Haeju an der Küste?«
    »Das sind rund einhundertfünfzig Kilometer. Aber ich wurde die erste Strecke von einem Lkw mitgenommen. Manchmal hat man Glück. Ich kam bis auf dreißig Kilometer an Haeju heran und war schon abends bei dem Fischer, den mein Bruder mir empfohlen hatte.«
    Krauses Stimme war ruhig, er sprach langsam, und seine Frage klang beiläufig: »Und wo auf dem Weg nach Haeju haben Sie Ihren Bruder getötet?«
     
    Niemand bewegte sich, niemand hob den Blick, niemand sagte ein Wort. Absolute Stille.
    Dann wurde Kims Gesicht fahl, sein Kehlkopf bewegte sich auf und nieder, seine Hände verschwanden vom Tisch, er beugte sich weit vor, wollte niemandem sein Gesicht zeigen. Es sah beinahe aus, als verbeuge er sich vor Krauses gnadenloser Schlussfolgerung. Dann sprang er

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