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Bruderdienst: Roman (German Edition)

Bruderdienst: Roman (German Edition)

Titel: Bruderdienst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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richtig«, fragte Krause fast gemütlich, »Ihr Bruder zeigte plötzlich so etwas wie Panik? Warum denn das? Er ist mächtig, warum Hektik, Stress, panische Fluchtreaktion?«
    »Ja, er war panisch, und das bereitete mir anfangs auch Kopfzerbrechen. Ich nehme an, er hatte irgendwie die väterlichen Gefühle unseres Führers verletzt, und er hatte keinen Rückhalt mehr. Ich denke inzwischen auch, der Führer wird behaupten, der Verkauf der Bombe habe hinter seinem Rücken stattgefunden, von Leuten angezettelt, die die Regierung stürzen und Nordkorea in den Ruin treiben wollten. So wird es kommen, und mein Bruder wird als der große Verbrecher hingestellt werden. Er ist doch ein Diktator. Und er braucht einen Sündenbock, oder?« Er war ganz ruhig, er übte sich in Denkweisen, die völlig neu für ihn waren. Er dachte sich frei. Das war harte Arbeit, und es machte ihm noch immer Angst.
    »Sie könnten recht haben«, sagte Krause leise. »Ich entschuldige mich für die Unterbrechung, reden Sie bitte weiter.«
    »Ja, also, der Arbeitstag war zu Ende, ich konnte mich in meiner Wohnung verkriechen, dort war ich für ihn nicht zu erreichen. Ich habe keine Minute geschlafen. Am folgenden Tag wiederholte er seine Vorschläge, sprach von meiner Tochter wie von einem Stück Fleisch und davon, dass wir in den Vereinigten Staaten von Amerika so viele Frauen kaufen könnten, wie wir wollten. Manchmal wirkte er geradezu lächerlich. Und dann erwähnte er ganz nebenbei: Ich werde in den nächsten Tagen von einer Insel runtergeholt. Die warten auf mich. Wie schön, sagte ich. Am nächsten Morgen ging ich sehr früh los. Ich glaube, es war fünf Uhr, und es war noch dunkel. Ich erwischte einen Lkw, auf dessen Ladefläche noch Platz war, er nahm mich mit. Vor Haeju setzte mich der Fahrer ab. Und als ich gerade wieder an der Straße stehe, kommt mein Bruder in seinem großkotzigen Mercedes angefahren. Da war mir klar, dass er die ganze Zeit schon hinter mir hergefahren sein musste. Und plötzlich wusste ich, dass ich ihn töten musste. Jetzt oder nie. Er würde mich niemals in Ruhe lassen, auch im Ausland nicht, nirgendwo auf der Welt, solange er lebte. Also ging ich vor ihm her, und er rollte mit diesem Auto hinter mir her, es war wirklich lächerlich. Ich nahm eine kleine Nebenstraße, und hinter zwei alten verlassenen Gebäuden blieb ich stehen.« Kim machte eine Pause, er hatte offensichtlich Schwierigkeiten mit dem Sprechen. Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, versuchte zu schlucken, dann schoss blitzschnell seine rechte Hand hoch zum Mund, als würde er ersticken.
    Müller sprang auf, ging zu ihm, goss ihm Wasser in ein Glas und reichte es ihm.
    »Wir haben Zeit«, sagte Krause leise. »Sie müssen sich nicht beeilen. Auf die eine oder andere Stunde kommt es jetzt auch nicht mehr an.« Das war gleich eine ganze Serie unwahrer Versicherungen, aber sie waren wichtig für Kim.
    Nachdem Kim mehrere Schluck Wasser getrunken hatte, konnte er wieder ruhiger atmen, er lächelte kurz und blickte in die Runde.
    »Mein Bruder stieg aus, er sagte: Lass uns noch einmal reden, wir könnten Nordkorea zusammen verlassen. Nicht mit mir!, antwortete ich ihm. Dann begann es zu regnen, und er schlug vor, uns in sein Auto zu setzen. Das lehnte ich ab. Ich ging zu dem ersten der beiden Gebäude. Mein Bruder lief hinter mir her und redete unablässig auf mich ein. Ich hob einen schweren Ziegelstein vom Boden auf, drehte mich zu ihm um und schmetterte ihm den Stein mit aller Kraft an den Kopf. Es traf ihn völlig unvorbereitet, in über fünfzig Jahren hatte ich mich kein einziges Mal gegen ihn zur Wehr gesetzt.« Kim legte erneut eine Pause ein, das Sprechen fiel ihm zusehends schwerer. Er durchlebte die Situation noch einmal, sah die hässlichen Bilder wieder vor sich, und zuweilen schien ein Zittern durch seinen Körper zu laufen.
    »Ich weiß es natürlich nicht genau, aber ich denke, der Schlag war tödlich. Er fiel hin, blutete stark. Ich zerrte ihn zu seinem Auto, setzte ihn hinein und ging dann an den Kofferraum. Er hatte einen Zehn-Liter-Kanister Sprit bei sich. Ich schüttete den Inhalt des Kanisters über ihn und das Auto, innen und außen. Dann drückte ich den Zigarettenanzünder, weil ich nicht rauche und kein Feuer bei mir hatte. Ich entzündete das Benzin und ging einfach weiter. Sollten doch ruhig alle das Feuer sehen und den schwarzen Qualm und diesen Toten. Ich suchte den alten Fischer auf. Und so kam ich auf die

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