Bruderdienst: Roman (German Edition)
mich nicht bei sich aufnehmen, ich müsse mir eine andere Bleibe suchen. Dann sagte er noch: Ich gehe nicht aus diesem Land fort. Sag das Wu!«
Die Nacht kroch langsam in die großen Bäume vor den Fenstern.
»Aber Sie haben sich bei ihm festgesetzt.«
»Mir blieb nichts anderes übrig. Ich habe ihn angefaucht, ich müsse meine Kleidung waschen, ich müsse mich selbst waschen. Und er solle mir gefälligst nicht dabei zusehen. Höflichkeit sei das Mindeste, was ich von ihm verlangen könnte. Er war sehr erheitert. Er war immer sehr erheitert, wenn ich wütend war, bis …«
»Davon reden wir später«, sagte er schnell. »Ich nehme an, Sie sprachen englisch. Und ich denke, Sie mussten sicher erklären, wer Sie waren oder wer Sie sein könnten.«
»Ja. Wir hatten uns ausgedacht, dass ich seine Tochter aus einer Verbindung mit einer Chinesin bin. Er ist in China ausgebildet worden. Das war unsere Erklärung.«
»Ich nehme an, das funktionierte?«
»Ja. Es funktionierte. Aber natürlich spreche ich kein Chinesisch. Also machten wir aus, dass ich zurückgeblieben bin, kaum rede. Ich bin ein verwirrtes, geistig behindertes Kind, verstehen Sie? Allerdings schützte mich das nicht vor den Männern.
Jedenfalls lebte ich zwei Wochen mit ihm. Wir mussten uns aneinander gewöhnen, wir mussten ungefähr wissen, wie der andere dachte, was er wollte, wie er in Gefahr reagieren würde, wie man ihm am besten helfen konnte, wenn er Hilfe brauchte. Diese Dinge.«
»Und Sie hatten einen Plan?«
»Ja, den hatte ich. Wir würden nach Nordosten zur Grenze gehen, den Fluss überqueren und in China sein. Dann brauchte ich nur noch ein Telefon und konnte uns Hilfe holen.«
»Das klingt ja bestechend einfach«, bemerkte Krause mit viel Ironie.
»Nach Auskunft der Leute in der amerikanischen Botschaft in Peking war die ganze Unternehmung ein Kinderspiel, ein Sonntagsausflug.« Ihre Stimme wurde bitter.
»Und Cheng blieb widerspenstig?«
»Ja und nein. Es gab Momente, da sagte er: Lass uns losgehen. Dann wieder versank er tagelang in dumpfem Brüten. Nach zehn Tagen sagte ich: Wir gehen morgen! Und er akzeptierte das. Und wir gingen. Wir gingen am frühen Abend los, weil wir die Nacht nutzen wollten, aber wir waren kaum ein paar Hundert Meter weit gekommen, als dieser Polizist mit dem Fahrrad uns entgegenkam. Er brachte zwei Dosen mit Corned Beef und drei Dosen mit Mischgemüse. Und dann sagte er, er hätte zwei weitere Dosen mit Corned Beef, wenn ich bereit sei, mit ihm zu schlafen.«
»Praktisch betrachtet, sind Sie auch viel zu hübsch«, murmelte Krause mit leichtem Vorwurf. »Da kann Ihr Gesicht noch so schmutzig sein.«
Sie hatte es jetzt eilig, fortzufahren. »Jedenfalls wurde Cheng sauer. So sauer, dass er richtig brüllte. Ich weiß noch, dass ich dachte: Sieh mal an, er reagiert tatsächlich wie mein Vater. Aber der Polizist ließ nicht locker. Und dann kamen die Panzer. Vier Stück, und sie fuhren direkt vor Chengs Hütte. Es handelte sich um ein achttägiges Manöver, und für uns bedeutete es ein absolutes Time-out, wir konnten uns nicht rühren. Und dann kam auch der General. Er war ein lächerlicher Mann.« Ihre Stimme wurde plötzlich monoton.
Ganz vorsichtig jetzt, dachte Krause. Verscheuch sie nicht. Er goss sich einen Schluck Kaffee ein und sagte: »Wir haben Zeit.«
Sie sah ihn an. »Eigentlich nicht«, widersprach sie trocken. »Der General wirkte auch deswegen so lächerlich, weil er in vollem Ornat auftrat. Also mit diesem albernen großen Armeehut und einer braunen Uniform, an der so viele Orden baumelten, dass er richtig schwer zu tragen hatte. Er kam in einem Mercedes Diesel angefahren und sagte, unsere Hütte wäre ideal für ihn, so könne er ständig in der Nähe seiner Truppen sein. Dann quartierte er sich ein, und wir sollten in einem Verschlag hinter der Hütte schlafen. Es war wie im Krieg, aber wir hatten erstklassiges Essen, weil der General erstklassig essen wollte, und er nannte mich die kleine chinesische Lotusblume. Er war ein lächerlicher kleiner Mann und er riskierte es, mir beim Essen unter den Rock zu fassen. Ich war ja die Verwirrte aus China, ich konnte nur stammeln und begriff nichts.«
»Wann sind Sie endgültig losgegangen?«, fragte Krause.
»Zehn Tage später. Von einem alten Bergwerksstollen aus, den wir für die erste Nacht unserer Flucht entdeckt hatten.«
»Aber da gab es auch noch Schwierigkeiten, oder?«
»Ja. Der General hatte ein paar seiner Leute auf uns angesetzt.
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