Bruderdienst: Roman (German Edition)
schloss dann: »Der Kerl heißt Thomas und spricht Amerikanisch wie ein Muttersprachler. Er fiel mir in einer Schulung auf. Ich baute am Schluss meiner Stunde zwei schwere Fehler ein und wartete dann wie üblich, ob es jemand schnallte. Dieser Thomas kapierte sofort, saß da und feixte, ohne ein Wort zu sagen.«
»Ach Gott, du und deine feinen pädagogischen Miniaturen«, seufzte Esser in freundlichem Spott. »Und wo ist der Wunderknabe jetzt?«
»Kommt gleich, wenn wir Glück haben.«
Sie hatten Glück. Zuerst erschien auf dem Bildschirm von Sowinski ein kleines Feld. »THOMAS DEHNER; 29, BS, aus Berlin, zuerst Diplomatischer Dienst, jetzt BND, spezialisiert auf internationale Wirtschaftsfragen, Globalisierung, Amerikanisch perfekt, Französisch, Schwedisch. Bisher ohne Einsatz.«
Er griff zum Telefonhörer. »Ist er da?«
»Ja«, antwortete seine Vorzimmerdame lapidar. »Soll er reinkommen?«
»Na, natürlich. Aber was, zum Teufel, heißt BS?«
»Bekennender Schwuler, Chef.«
»Oha!«, sagte Sowinski. Mit Homosexuellen beiderlei Geschlechts konnte man im Dienst immer noch nicht vernünftig umgehen, da galt in weiten Bereichen bis heute noch ein: »Lieber nicht!« Goldhändchen war da eindeutig eine Ausnahme. Ausgerechnet Krause hatte einmal geäußert: »Warum denn nicht, wenn sie klug sind und uns weiterhelfen?« Dann hatte er grinsend und zum Entsetzen der Betonköpfe von den Konservativen hinzugesetzt: »Sie machen mindestens zwei Zehntel der zivilisierten Welt aus. Und wir müssen doch nicht mit denen ins Bett gehen, oder?« Er hatte langsam in die Runde geblickt und noch eins draufgesetzt. »Es gibt ja von Fachleuten die durchaus ernst zu nehmende Behauptung, dass Schwule selbst auf höchster Ebene etwas leisten können, was die sogenannten Heteros niemals zustande bringen.« Seine Aussage wurde im Sitzungsprotokoll als »nicht fachlich« eingestuft.
Der junge Mann, der wenig später das Zimmer betrat und sich freundlich grüßend auf den zweiten Besucherstuhl setzte, sagte matt: »Ich soll mich hier einfinden. Mein Name ist Thomas Dehner.« Dann erkannte er Sowinski und lächelte.
»Es ist schon recht spät«, erklärte Sowinski entschuldigend. »Aber wir wollen Ihnen eine schwierige Mission anvertrauen.« Er legte Dehner den Fall Cheng in allen bekannten Einzelheiten dar. »Wir möchten, dass Sie sich das Hotel ansehen, in dem Cheng wohnte und wo er zu Tode kam. Sie gehen als Tourist rüber, quartieren sich dort ein, vermeiden jeden Kontakt zu unseren US-amerikanischen Brüdern. Und erst recht jeden Kontakt zu deutschen Konsulaten, Botschaften, Vereinen, was weiß ich. Wir wollen wissen, was sich tatsächlich abgespielt hat. Sie bekommen alle verfügbaren Einzelheiten noch einmal schriftlich von uns. Sie haben zwei Tage zur Vorbereitung, wenn Sie die Informationen draufhaben, vernichten Sie die Unterlagen. Ihre Reisepapiere werden morgen fertig gemacht. Sie haben keinerlei Hilfe drüben, nur eine Telefonleitung auf einen sicheren Apparat hier auf diesem Schreibtisch. Aber Sie sollten sie tunlichst nicht benutzen. Sie müssen schnell sein. Ihr Flug ist für Freitag früh geplant, Sie fliegen mit einer Maschine der Bundeswehr nach Washington und von dort weiter per Linienflug.«
Dehner war ein kleiner, schmaler Mann mit einem fein geschnittenen Gesicht. Kinn und Wangen waren glatt rasiert, ließen aber dennoch den Schatten eines Bartes erahnen. Sein Haar war dunkel, kurz geschnitten, ohne Gel, seine Brille hatte große, randlose, leicht ins Gelbliche getönte Gläser. Er trug ein am Kragen offenes weißes Hemd zu einem dunkelgrauen Anzug. Seine Augen waren von einem auffallend hellen Blau, sie wirkten humorvoll und skeptisch zugleich.
»Das würde ich selbstverständlich gern erledigen«, sagte er. Nicht die Andeutung eines Zweifels. »Wir kennen den neuen amerikanischen Namen von Cheng nicht?«
»Wir kennen ihn nicht«, bestätigte Sowinski. »Können Sie das zeitlich einrichten?«
»Oh ja, das schaffe ich auf jeden Fall. Geht das Flugzeug von Tegel?«
»Ja.«
»Bekomme ich einen Spesenvorschuss?«
»Natürlich. Das macht die Leitstelle.« Sowinski grinste den Aspiranten an und fragte: »Sind Sie knapp bei Kasse?«
»Ja, durchaus«, nickte Dehner sehr ernst, führte es jedoch nicht weiter aus.
»Nehmen Sie reichlich Spesen mit«, riet Klaus Esser, ebenfalls grinsend. »Sie steigen schließlich in einem Hotel ab. Und da sind Gäste, die großzügige Trinkgelder geben, gut
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