Bruderdienst: Roman (German Edition)
eine Art Starre, dann Schlaflosigkeit und dann ganz tiefe Verzweiflung. Und die beste Hilfe ist …«
»Ich habe das verstanden«, unterbrach Krause sie freundlich. »Ist sie wach?«
»Ja.«
»Könnten Sie mir einen Kaffee machen?«
»Natürlich.«
»Ich bezahle ihn selbstverständlich auch. Kann ich jetzt zu meiner Frau?«
»Aber ja. Und den Kaffee bringe ich Ihnen.« Sie segelte scheinbar erleichtert davon.
Er blieb in der offenen Tür stehen und sagte mit trockenem Mund: »Wally, mein Schatz.« Das hatte er noch nie gesagt.
Dann setzte er sich zu ihr auf das Bett und zog ganz vorsichtig die Decke von ihrem Kopf. Ihr kleines Gesicht war völlig verheult, und sie hielt die Augen fest geschlossen.
»Sag mir, was ist.«
»Sie wollen mir die linke Brust abschneiden.«
»Ja, das haben sie mir gesagt. Das ist natürlich eine scheußliche Operation, aber du bleibst meine Frau wie alle die Jahre vorher.«
»Ach, rede doch nicht so einen Unsinn. Das ist wieder deine Priestermasche.«
Er fühlte sich elend, wusste nichts zu sagen, seine Argumente schienen ihm flach und inhaltslos. Aber er versuchte es noch einmal.
»Wenn es dir so elend ist, warum greifst du nicht zum Telefon und rufst mich an? Warum liegst du hier, ohne mir etwas zu sagen?«
Sie antwortete nicht, und er begriff, dass Worte nichts ändern konnten. Nicht jetzt.
Sie drehte sich auf den Bauch, sie wollte nichts mehr sehen. Auch ihn nicht. Sie war vollkommen eingehüllt in ihre Traurigkeit.
Es klopfte, und die Schwester kam mit einer Tasse Kaffee herein. Sie sagte nichts, stellte nur die Tasse auf ein kleines Tischchen und verschwand wieder.
»Trink deinen Kaffee«, sagte Waltraud. »Wie ich dich kenne, hast du dir zu Hause keinen gemacht.«
»Ja«, antwortete er. Er ging zu dem Sessel neben dem kleinen Tisch und trank einen Schluck. Er schnappte nach Luft, weil der Kaffee sehr heiß war. Er trank ihn ohne Milch und Zucker und fand, dass er fad schmeckte. Wahrscheinlich sparten sie hier am Kaffeepulver.
»Dein Bruder hat geschrieben«, sagte er in die Stille des Zimmers hinein. »Ich habe den Brief dabei. Soll ich ihn dir vorlesen?«
»Ja, bitte«, antwortete sie schniefend.
Er holte den Brief aus der Jacketttasche und faltete das Blatt auseinander.
»Liebste Wally! Ich hörte von deinem Mann, dass du ernsthaft erkrankt bist. Und ich habe ganz stumm vor dem Feuer in meinem Kamin gesessen und mich gefragt, wann mich das gleiche Los ereilt. Erst Mutters Krebs, jetzt das Gleiche bei dir. Nun ja, niemand entgeht seinem Schicksal.«
Krause hielt inne und bemerkte: »Das ist ja ein furchtbares Gewäsch.«
»Lies weiter«, sagte Wally krächzend.
»Nun ja, niemand entgeht seinem Schicksal. Aber die Medizin ist heute ja viel weiter, und so nehme ich an, dass die Ärzte dir helfen können. Ich erinnere mich an unseren Garten in Bremen. Weißt du noch, wie der aussah, wenn der Flieder blühte, und wie wir darin herumtollten? Wir hatten doch wirklich eine schöne Kindheit, auch wenn unser Vater sehr früh von uns ging.«
Krause machte wieder eine Pause und bemerkte trocken: »Mein Gott, das kann doch kein Mensch lesen, ohne die Nerven zu verlieren.«
Sie schwieg eine Weile, dann sagte sie: »Das stimmt, du hast recht! Aber er war immer schon so pomadig, er hätte Pfarrer werden sollen. Könntest du vielleicht bei der Reinigung vorbeigehen und deine Hemden holen? Und Krawatten sind auch noch da. Und dann noch drei von deinen furchtbaren grauen Anzügen. Und warum trägst du heute keine Krawatte?«
Er überlegte eine Weile und antwortete dann: »Wohl, weil ich es so eilig hatte, zu dir zu kommen.«
»Es steht dir«, stellte sie fest. »Es gibt nur einmal die Woche zwei Stunden, in denen du keine Krawatte trägst. Das ist sonntagmorgens zu Hause, wenn du Zeitung liest.«
»Ja, das stimmt. Macht der Gewohnheit.«
»Ich habe erfahren, dass der Mann einer früheren Schulfreundin von mir gestorben ist. Du kennst sie nicht, sie heißt Gretel und war in meiner Abiturklasse. Sie war die Erste, die heiratete, und sie war die Erste, die ein Kind kriegte. Ich möchte sie anrufen, ich möchte sie treffen.«
»Natürlich«, sagte er überrascht. »Wo wohnt sie denn?«
»Hier in Berlin. Sie war immer in Berlin. Früher war sie eine recht fesche Person. Während die Mädchen aus unserer Klasse noch darüber nachdachten, ob sie studieren oder besser gleich heiraten sollten, hatte sie sich bereits einen geangelt, einen Rechtsanwalt. Der vertrat ziemlich
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