Bruderdienst: Roman (German Edition)
Augenbewegungen, er sah tatsächlich Sterne, tanzende schwarze Punkte, die ihn rasend machten. Es wurde nur erträglicher, wenn er die Augen schloss. An seiner rechten Kopfseite musste viel Blut sein, aber er konnte weder den rechten noch den linken Arm genügend bewegen, um nach dem Ohr zu tasten. Er wusste davon, weil er beim Robben quer durch das Apartment blutige Streifen auf dem grauen Teppichboden zurückgelassen hatte. Sein Kopf dröhnte wie eine Trommel, und das, was er von seinem weißen Hemd sah, war blutig.
Wo war eigentlich das Handy geblieben?, fragte er sich plötzlich. Er sah es nirgends. Das Festnetztelefon musste neben dem Bett stehen. Wie sollte er die Leitung ins Polizeirevier herstellen? Im Übrigen musste er sich darauf konzentrieren, irgendwie die Tür zu erreichen, falls jemand kam, um ihm zu helfen.
»Das schaffe ich sowieso nicht«, flüsterte er in die Stille hinein. Und dann: »Ich wollte ja immer schon mal nach San Francisco.« Er kicherte hysterisch, ließ es aber sofort wieder sein, als er den stechenden Schmerz in der Brust fühlte.
Merkwürdigerweise fand er seinen Beruf nicht mehr öde und einengend, und er hatte auch gar nicht den Drang, seinen Arbeitgeber zu verfluchen und gegen einen anderen auszutauschen.
Es war schwierig, sich auf den Bauch zu drehen, um weiterkriechen zu können. Er versuchte es mehrmals in beiden Richtungen, aber es klappte erst, als er die Unterkante des Bettrahmens zu fassen bekam, um dem Körper ein wenig Druck zu machen. Endlich lag er auf dem Bauch, aber leider in die verkehrte Richtung. Er musste sich zur Raummitte drehen, und er hatte panische Angst davor.
Plötzlich wurde ihm übel, ein bohrender Schmerz stieg aus seinem Magen auf. Er übergab sich, schnappte zwischendurch wild nach Luft und verlor dann das Bewusstsein.
Als er wieder zu sich kam, lag er in einem spitzen Winkel zum Fenster. Er musste sich leicht gedreht haben. Ein beißender Gestank stieg ihm in die Nase, und lächerlicherweise war es ihm peinlich.
Es gelang ihm, leicht das Becken anzuheben. Dann lag er zur Mitte des Raumes hin und entdeckte sein Handy ungefähr vier Meter entfernt auf dem Boden. Wieder sagte er: »Das schaffe ich nie.« Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie lange er erneut ohne Bewusstsein gewesen war. Als er den linken Arm ausstreckte, um ein weiteres Stück vorwärtszukommen, fiel sein Blick auf seine Armbanduhr. Es war kurz vor drei Uhr nachts. Seit die Männer ihn verlassen hatten, mussten also etwa fünf Stunden vergangen sein. Das erschien ihm ganz unglaublich. Aber all das, was ihm widerfahren war, erschien so unglaublich, dass er die Möglichkeit, geträumt zu haben, nicht gänzlich ausschließen mochte. Sein schmerzender Körper allerdings war kein Traum, keine Einbildung, jeder Zentimeter vorwärts eine Qual.
Als er die vier Meter in Richtung Handy geschafft hatte, waren zwanzig Minuten vergangen. Er blieb liegen, völlig erschöpft. Er dachte kurz daran, seine Mutter anzurufen, verwarf den Gedanken aber wieder.
Dann ein Klopfen an der Tür. Er versuchte mitzuzählen, wusste aber nicht, ob er den ersten Klopflaut überhaupt gehört hatte. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete. Er hörte undeutlich Männerstimmen, dann ein Kratzen an der Tür. Die Tür ging auf. Zwei Männer kamen herein. Sie sahen anders aus als die Typen, die ihn fertiggemacht hatten. Einer von ihnen kniete neben ihm nieder und sagte: »Ich bin Goldberg, ich komme, um dich hier rauszuholen.«
Dieser Goldberg war ein dürres Klappergestell und wirkte wie der ewige Witzbold in der Abschlussklasse. Eine Riesenbrille ohne Fassung saß in seinem schmalen Gesicht. Er trug so etwas wie ein Hawaiihemd, grün-rot gemustert. Dazu Jeans und Laufschuhe.
Er fragte: »Haben sie irgendetwas mitgenommen?«
»Weiß ich nicht. Da im Schrank.«
Der zweite Mann war klein und korpulent. Er öffnete den Schrank. »Viel ist es nicht.«
»Papiere im Jackett«, nuschelte Dehner.
»Stimmt, hier sind welche.«
»Die anderen sind im Boden der Tasche«, sagte Dehner. Er hatte Deutsch gesprochen, wiederholte es noch einmal auf Englisch.
Der Dicke sagte: »Okay, da ist auch was.«
»Alles rein in die Tasche«, befahl Goldberg. »Auch das Zeug im Bad. Schnell.«
Der Dicke verschwand im Bad.
»Du kannst nicht gehen, wie?«, fragte Goldberg.
»Nein, kann ich nicht.«
»Du siehst aus, als kämest du gerade aus der Schlacht um Iwo Jima. Aber das gibt sich. Haben die Kerle gesagt, wann sie
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